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"Hinter den Schatten: Die Correctiv-Ermittlungen, Massenproteste und der Kampf gegen den Rechtsextremismus in Deutschland"

Die Enthüllungen der Enthüllungsplattform Correctiv über ein Treffen zwischen Mitgliedern der AfD, der Werteunion und der Idenitären Bewegung haben Millionen von Menschen in ganz Deutschland auf die Straße getrieben. Doch wie sieht die Zukunft des Protests aus und wie reagiert die Bundesregierung auf den aktuellen Abschiebediskurs?



DIE COORECTIV-RECHERCHE UND IHRE FOLGEN


Vor etwas mehr als einem Monat veröffentlichte Correctiv in Zusammenarbeit mit Greenpeace Recherchen zu einem Geheimtreffen von hochrangigen AfD-Politiker*innen, Neonazis und spendenwilligen Unternehmern im November letzten Jahres. Die Informationen über ein solches Zusammenkommen, bei dem über mögliche Abschiebepläne fantasiert wurde, erschütterten die ganze Nation. Aber sind sie wirklich so überraschend? 


Einer der Hauptprotagonisten des Treffens war der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner. Er stellte einen Masterplan vor, der laut des Correctiv-Berichtes die massenhafte Deportation von Millionen Menschen aus Deutschland beinhaltet. Darunter jene ohne deutschen Pass und deutsche Staatsbürger*innen mit Migrationsbiographie. Dabei sollen diese in einen „Musterstaat“ in Nordafrika deportiert werden, in dem bis zu zwei Millionen Menschen Platz finden können.


Das Treffen fand in einem Landhaus am Lehnitzsee in Potsdam statt. Nicht unweit davon wurden schon einmal in diesem Land im Rahmen der Wannseekonferenz Deportationspläne und Vernichtungsfantasien beschlossen. Initiiert wurde das Treffen von zwei Privatpersonen, die zwar keine Parteipolitiker sind, sich anscheinend dennoch „hinter den Kulissen“ stark für rechtsextreme Politik einsetzen: Dem ehemaligen  Zahnarzt Gernot Mörig und dem Unternehmer Hans-Christian Limmer, der unter anderem die Bäckereikette Backwerk bekannt machte. Unter den weiteren Anwesenden befanden sich außerdem Roland Hartwig, der persönliche Mitarbeiter von AfD-Parteichefin Alice Weidel, weitere AfD-Abgeordnete, sowie Vertreter*innen der Werteunion und andere Personen aus dem rechten Spektrum. In erster Linie weist die AfD darauf hin, dass es sich um ein privates Treffen handle. In einem Punkt ist sich die Partei mehrheitlich einig: die daraus folgenden Demonstrationen und Vorwürfe gegen die AfD seien eine „Kampagne“ gegen die Partei. 


DIE MASSENPROTESTE: WAS BLEIBT?


Die Reaktion auf diese Enthüllungen war überwältigend. Bereits wenige Tage nach Veröffentlichung der Abschiebefantasien der AfD wurden erste Kundgebungen organisiert, bis Anfang Februar gingen bereits über 2 Millionen Menschen in mehr als 300 Städten in ganz Deutschland auf die Straßen. Die transregionale Dynamik und das breite Bündnis an aufrufenden Organisationen haben dafür gesorgt, dass nicht nur in Großstädten wie Köln, Berlin oder Hamburg Bürger*innen für die Demokratie und gegen das menschenverachtende Gedankengut der AfD auf die Straße gehen. Vielmehr gingen auch in Kleinstädten und Dörfern tausende Menschen auf die Straßen, wie etwa im thüringischen Altenburg, wo 2.000 Teilnehmer*innen / Demonstrant*innen gemeinsam protestierten. 


Zu den Organisator*innen gehören dabei gleichermaßen Gewerkschaften, Klimaaktivist*innen und antifaschistische Gruppierungen, aber auch Nachbarschaftsverbände oder die Jugendorganisationen verschiedener Parteien selbst. Die Enthüllungen des Correctiv-Magazins haben augenscheinlich einen Ruck durch die deutsche Gesellschaft gebracht. Die Heterogenität der Proteste verdeutlicht, dass die gesellschaftliche Mitte, die häufig den Zusatz “schweigende” führte, aufgewacht zu sein scheint.


Doch wie geht es nun weiter mit den Protesten? Trotz des starken Symbolcharakters auf den Demonstrationen selbst, ist bereits ein gewisser Rücklauf zu erkennen. Waren es in der ersten Woche der Proteste zwischen 15. und 21. Januar noch mehr als eine Millionen Menschen, ging diese Zahl bereits in der Folgewoche auf etwa 900.000 zurück und umfasste Anfang Februar bereits nur noch knapp 500.000. Diese Dynamiken sind zwar keineswegs überraschend, verdeutlichen aber auch, dass der kollektive Kampf gegen Rechts sich nicht nur auf reine Symbolik verlassen kann. Diskurse um ein Parteiverbot der AfD können hierbei durchaus produktiv sein, da sie die zahlreichen Fürs und Widers öffentlich sichtbar machen. Im Herbst finden in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Landtagswahlen. In all diesen Bundesländern wurde der Landesverband vom Verfassungsschutz als “gesichter rechtsextrem” eingestuft, in all diesen Bundesländern sehen aktuelle Umfragen sie dennoch klar auf Platz 1.


Solange es kein Parteiverbot gibt, wird die AfD eine potente politische Realität bleiben, genauso wie die Tatsache, dass nach jüngsten Umfragen etwa 20% der deutschen Bevölkerung sie trotz Correctiv-Enthüllungen und Verfassungsschutzberichten wählen würden. Die Zukunft der Proteste wird sich auch darin entscheiden, wie sehr sie es schaffen werden, das Momentum in den Herbst hinein zu tragen. Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis ist zwingend nötig und war viel zu lange nicht existent. Teil dieser Kontinuität muss allerdings auch sein, dass die Parteien der sogenannten gesellschaftlichen Mitte nicht weiter die Rhetorik der AfD übernehmen. Das SPIEGEL-Cover von Olaf Scholz, rassistische Zahnarzt-Anekdoten von Friedrich Merz oder die Verabschiedung der GEAS-Reform sind nur Wasser auf die Mühlen derer, die in der Migration die größte Gefahr der deutschen Gesellschaft sehen. Symbolhaft für die Anbiederungsversuche der Ampel-Regierung ist etwa das Gesetz zur Rückführungsverschärfung, das eine Woche nach den Correctiv-Enthüllungen beschlossen wurde.


DIE RÜCKFÜHRUNGSVERSCHÄRFUNG UND DIE AMPEL



Im sogenannten “Rückführungsverschärfungs-” oder "Rückführungverbesserungsgesetz" geht es laut Bundesregierung  in erster Linie darum, Abschiebungen zu vereinfachen. In den Worten von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD):  “Wir sorgen dafür, dass Menschen ohne Bleiberecht schneller unser Land verlassen.” Konkret heißt das, dass Abschiebungen grundsätzlich nicht mehr angekündigt werden und Menschen, die nach einem erfolglosen Asylantrag abgeschoben werden sollen, länger in Abschiebehaft gehalten werden dürfen (bis zu 28 Tage - die Höchstdauer nach EU Gesetz). Außerdem wird es den Behörden ermöglichen,  Wohnräume von Dritten zu durchsuchen, Handys zu überwachen  und Abschiebungen in der Nacht durchzuführen . Personen, die Menschen auf der Flucht über den Landweg in die EU unterstützen, sollen außerdem mit bis zu 10 Jahren Haft bestraft werden können.


Am 18. Januar 2014, nur 8 Tage nach Veröffentlichung der Correctiv-Recherche zum heimlichen Treffen der AfD, verabschiedete der Bundestag den Gesetzesvorschlag zum Rückführungverbesserungsgesetz. Am 14.01., nur wenige Tage vor der Verabschiedung, standen unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena  Baerbock gemeinsam mit tausenden Mitbürger*nnen auf der Straße, um gegen die AfD und ihre Massendeportationspläne zu protestieren. Die Bilder der Regierungsmitglieder unter Protestierenden sind wichtig und setzen ein symbolisches Zeichen gegen Rechtsextremismus - und dennoch hinterlassen sie einen schlechten Beigeschmack. 


Es mag schlechtes Timing sein. Trotzdem fällt es schwer, an die Glaubwürdigkeit dieser Bilder zu glauben. Kann man gleichzeitig laut gegen Remigration protestieren und im Stillen ein Gesetz verabschieden, was Deutschland darin erleichtert, “endlich im großen Stile” abzuschieben? 


“Endlich im Großen Stile abschieben" - diese Worte von Olaf Scholz im Oktober 2023 klingen nach. Gerade jetzt,  laut und deutlich. Mit dem neuen Abschiebegesetz folgt Deutschland einem breiteren Trend der Versicherheitlichung von Migration. Demnach wird Migration als eine Bedrohung eingeordnet und damit ein verschärftes Vorgehen gerechtfertigt. Außerdem sollen Migrationsfragen, die unter Verwaltungsrecht geklärt werden, zunehmend strafrechtlich behandelt werden. Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht zurück in ihr Herkunftsland möchten oder können, werden mit dem neuen Gesetz ähnlich wie Straftäter behandelt, indem in deren Freiheits- Grundrechte eingegriffen werden kann. Dabei können Abschiebungen  besonders für Menschen mit Fluchterfahrung grundsätzlich schwer traumatisierend sein, da sie oft unter Einsatz von Gewalt verlaufen. 


Im Namen der “Kontrolle von Migration” werden weitreichende und menschenrechtlich fragwürdige Maßnahmen legitimiert. Dabei ist das neue Gesetz nicht einmal zielführend: Ende Dezember waren laut Bundesinnenministerium 242.642 Menschen ausreisepflichtig.  Der Großteil derjenigen, die eigentlich ausreisepflichtig wären, ist  aber geduldet. Etwa 193.972 Menschen haben eine Duldung, viele weitere können nicht in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden. Gründe dafür sind die Sicherheitslage im Herkunftsland, Kinder mit Aufenthaltserlaubnis, eine begonnene qualifizierte Berufsausbildung, Krankheit oder das Fehlen von Pass- und Reisedokumenten. Tatsächlich bleiben also nur wenige Menschen, die auch wirklich abgeschoben werden könnten; im Durchschnitt etwa eine*r von fünf. 

 

Wozu also ein solches Gesetz? Zur Besänftigung der Kommunen? Der potentiellen AfD Wähler*innen?  In diesen Zeiten, in denen der Rechtsextremismus immer mehr Zuspruch gewinnt, muss es einen klaren Gegenpol geben, der unsere demokratischen Werte verteidigt. Carolin Emke brachte es in ihrer Kolumne in der Süddeutschen Zeitung auf dem Punk:  "Wer sich permanent fragt, ob die eigenen Worte oder Positionen auch ausreichend AfD-Klientel "abholen" oder besänftigen, hat den eigenen demokratischen Kompass schon verloren." Weiter auf die Straße gehen, weiter Hilfe leisten und weiter die Rechte von marginalisierten und rassifizierten Gruppen verteidigen, ist angesagt. Jetzt mehr denn je.  


Bild: Stefan Mueller


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