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Der "Migrationsdeal" zwischen Italien und Albanien und seine Auswirkungen auf die Externalisierungs- und Erweiterungspolitik der EU

Im Februar dieses Jahres stimmte das albanische Parlament für die Ratifizierung eines neuen "Migrationsabkommens", das der italienischen Regierung erlaubt, an der albanischen Küste sogenannte "Verarbeitungszentren" zu errichten. Die Erklärungen der beiden Vetragstaaten machen deutlich, dass dieses Abkommen von beiden Seiten als ein Schritt in Richtung einer lang erwarteten EU-Mitgliedschaft Albaniens gesehen wird. Das Abkommen ist jedoch mehr als nur ein Teil des EU-Beitrittsplans, es ist die Fortsetzung einer langen Geschichte der Machtasymmetrie in der europäischen Peripherie.



Der italienisch-albanische "Migrationsdeal": Die Beziehung zwischen EU-Externalisierungspolitik, EU-Erweiterung und innereuropäischem Imperialismus 


Im Februar diesen Jahres hat Albanien ein neues „Migrationsabkommen" mit Italien abgeschlossen. Das Abkommen gibt Italien das Recht sogenannte Bearbeitungszentren" in Albanien zu errichten, in denen Menschen, die von humanitären Helfer*innen oder der italienischen Küstenwache aus dem Meer gerettet wurden, bis zum Ende ihres Asylverfahrens festgehalten werden sollen.  Laut Amnesty International handelt es sich um ein Abkommen für “willkürliche Inhaftierungen", welches sowohl “Illegal”  als auch “undurchführbar” sei. 


Nach Beschluss des Abkommens wies der Migrations- und Asylforscher Matteo De Bellis in einer Pressemitteilung auf die Tatsache hin, dass auf See gerettete Menschen „automatisch inhaftiert werden und die Zentren bis zu 18 Monate lang nicht verlassen können". Darüber hinaus haben sich die italienischen Behörden das Recht gesichert, die Menschen auf den Booten „Tage länger als nötig" festzuhalten, bis diese in Albanien ankommen.


Menschenrechtsorganisationen schlugen schon während der bilateralen Vorgespräche Alarm. Die italienische Regierung, die derzeit von der rechtsextremen Partei Fratelli d'Italia (FdI) von Giorgia Meloni geführt wird, hatte bereits im November 2023 zwei Haftzentren in Albanien errichtet, eines in der nordwestlichen Region Zadrima und eines in der Nähe der zentralalbanischen Hafenstadt Shëngjin. Nach der Abstimmung im albanischen Parlament veröffentlichte der albanische Premierminister Edi Rama einen Beitrag auf X, in dem er erklärte, dass „Albanien an der Seite Italiens stehe und sich dafür entscheidet, wie ein EU-Mitgliedstaat zu handeln". Die italienische Präsidentin stimmte dem in einer eigenen Presseerklärung zu und erklärte, Albanien verhalte sich „als wäre es de facto bereits ein EU-Mitgliedstaat". Wie alarmierend, dass die Bereitschaft, als Schutzschild für die EU zu fungieren, und somit die Externalisierung von Asyl zu zulassen, einen Staat als defacto EU-Mitgliedstaat aussehen lässt. 


Was auf den ersten Blick wie eine unheilige Allianz zwischen dem rechtsextremen Kabinett Meloni und der derzeitigen albanischen Regierungspartei, der Sozialistischen Partei Ramas, erscheint, lässt sich tatsächlich leicht erklären.  Als eins der  neun EU-Beitrittskandidaten betrachtet  Albanien dieses Abkommen als einen bedeutenden Schritt in Richtung EU-Beitritt. Obwohl die wirtschaftlichen und politischen Strukturen des Landes nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes in den späten 1980er und 1990er Jahren stark Leiden mussten, wurden radikale Veränderungen durchgeführt, womit es in den letzten Jahrzehnten gelang, die Staatsverschuldung zu senken und die Infrastruktur erheblich zu verbessern. Der noch ausstehende EU-Beitritt wirkt sich jedoch nach wie vor auf die Entwicklung der Währungs- und Handelsbeziehungen aus, was es erschwert, Verarmung, Arbeitslosigkeit und Massenauswanderung zu bekämpfen. 


Die jahrhundertelange Geschichte der italienischen imperialistischen Ambitionen


Diese besondere Art der EU-Grenzschutzpolitik lässt sich nicht nur mit den EU-Erweiterungsplänen erklären, sondern auch mit der Machtbeziehung zwischen den beiden Ländern, die lange in die Vergangenheit zurückgehen. Wie die Mediengruppe Balkan Insight in einem Artikel vom Juli 2023 beschrieb, erinnert die Haltung Italiens gegenüber seinem östlichen Nachbarn an eine Kolonialbeziehung. 


Italiens Imperialismus, basierend auf ideologischen Vorstellungen von ethnischer Überlegenheit, führte Anfang des 20. Jahrhunderts zur Besetzung albanischer Gebiete. Die Gründung der „Italienischen Landwirtschaftsbehörde“ in Albanien im Jahr 1926  unter dem damaligen faschistischen Führer Benito Mussolini, festigte Italiens Machtstellung. Der in Tirana lebende Journalist Fabio Bego stellt fest, dass der Eindruck einer „albanischen Verschuldung gegenüber Italien" in heutigen bilateralen politischen Beziehungen immer noch sichtbar ist, zum Beispiel durch die Äußerungen von Fabrizio Bucci, dem italienischen Botschafter in Tirana, der Albanien im Jahr 2023 als "21. Region Italiens” und als "Brückenkopf für Italien in Richtung Westbalkan[,] das heißt, ein Markt mit über 30 Millionen Einwohnern" bezeichnete,  und damit die finanziellen Vorteile für Italien durch den EU-Beitritt Albaniens betonte. Diese Narrative reflektiert den Prozess der „Europäisierung", der seit Jahrhunderten in der europäischen Peripherie stattfindet und in jüngster Zeit mit der sogenannten „EU-Integrationspolitik" einhergeht.


Das Migrationsabkommen zwischen Italien und Albanien ist auch ein deutliches Beispiel für die asymmetrischen Machtverhältnisse innerhalb Europas und der EU. Der albanische Anwalt Joan Daci hat die Rechtmäßigkeit einer de-facto italienischen Gerichtsbarkeit auf souveränem albanischem Boden öffentlich in Frage gestellt indem er auf Social Media Folgendes gepostete: „Ein Abkommen, das die Gerichtsbarkeit eines fremden Staates über einen Teil des Territoriums der Republik Albanien anerkennt, würde eine Straftat darstellen [...] Ein solches Abkommen widerspricht fast der Hälfte oder mehr der Verfassung und den Grundsätzen des Völkerrechts." 


Der ausbeuterische Charakter der Externalisierungspolitik der EU-Grenzverwaltung


Darüber hinaus werden die beiden Zentren größtenteils auf Kosten Albaniens gebaut und, wie Anwohner anmerken, eine negative Auswirkung auf die lokale Tourismusindustrie haben. Lokale Organisationen und Politiker*innen haben das Abkommen auch wegen des  Mangels an Transparenz angeprangert und es als „ein Abkommen im Dunkeln" bezeichnet. Dass die Abstimmung im albanischen Parlament in erster Linie von konservativen Parteien boykottiert wurde, die die Opposition zu Ramas linker Partei bilden, wirft dieses Abkommen ein Schlaglicht auf die äußerst komplexen Mechanismen, die hinter der aktuellen Migrationspolitik stehen, die zuweilen von Mächten angetrieben zu werden scheint, die größer sind als herkömmliche politischen Farben. 


Die zunehmende Externalisierung der EU-Grenzschutzpolitik ist eines der einflussreichsten Trends der letzten zehn Jahre. Das bemerkenswerteste Beispiel aus jüngster Zeit war der sogenannte „Ruanda-Deal", bei dem Ruanda zustimmte,  Asylsuchende auf dem Weg ins Vereinigte Königreich in lokalen Haftanstalten festzuhalten. Auf diese Vereinbarung folgten Äußerungen von deutschen Politiker*innen wie zum Beispiel dem Bundestagsabgeordneten Jens Spahn, der öffentlich bekundete, Deutschland sollte dem Beispiel des Vereinigten Königreichs folgen. Das Abkommen zwischen Italien und Albanien stellt somit einen gefährlichen Präzedenzfall dar, da es Anreize für die Aufnahmeländer von Migranten, vor allem aber für die EU-Beitrittskandidaten schafft die damit ihre Chancen auf einen EU-Beitritt erhöhen könnten.


Während solche Externalisierungspläne offensichtlich den jeweiligen außereuropäischen Mitunterzeichner*innen ausnutzen, ist es wichtig, auch die innereuropäischen Machtungleichgewichte im Auge zu behalten. Wie der Historiker Mark Mazower feststellte, war vor weniger als dreißig Jahren die Vorstellung, dass der Balkan von Wissenschaftlern als "in Afrika gelegen", von primitiven Stammesdenken beherrscht und dringend der Verwestlichung und Europäisierung bedürftig angesehen wurde, eine unter den mächtigen westeuropäischen politischen Eliten beliebte Haltung. Diese Narrative leben auch heute noch fort. 


Eine Erinnerung an die Machtasymmetrie in Europa 


Natürlich wird sich an der geografischen Lage und der Nähe von Ländern wie Albanien nichts ändern, die ihrerseits das Potenzial einer EU-Mitgliedschaft, finanzieller Ressourcen und vieler anderer Vorteile in sich tragen. Was die globale Gerechtigkeit angeht, so haben Albanien und andere Balkanländer eine privilegierte Position im Vergleich zu Regionen außerhalb des europäischen Kontinents. In der Tat, ist das Leben von Menschen auf der Flucht nach Europa direkt  gefährdet. Der jüngste "Migrationsdeal" zwischen Italien und Albanien macht jedoch die Abhängigkeiten innerhalb der größeren Region deutlich und erfordert kritische  von Macht und Privilegien in Europa.

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