Kaum ein Thema hat die deutsche migrationspolitische Debatte in den letzten Monaten so sehr angeheizt wie die sogenannte "Bezahlkarte". In unserem neuesten Advocacy Blog erklären wir, was die Bezahlkarte überhaupt ist, welches politische Kalkül dahintersteckt und welche Bedeutung die Einführung der Bezahlkarte für Asylsuchende selbst hat.

Einleitung
Die Bezahlkarte, die Deutschland aktuell für Geflüchtete und Asylbewerber*innen einführt, wird kontrovers diskutiert. Während die Regierung die angeblichen Vorteile einer Bezahlkarte anpreist, äußern Asyl- und Menschenrechtsorganisationen sowie Migrationsexpert*innen Zweifel und Bedenken.
Omar Alkadamani gehört zu den letzteren. Er ist Freiwilliger bei der Organisation Migranos Movement, die Geflüchteten und Asylbewerber*innen Hilfe und Beratung bietet. Als wir mit ihm über die Bezahlkarte und die möglichen Auswirkungen ihrer Einführung sprachen, äußerte er mehrere Bedenken und zeigte sich unsicher, was in den kommenden Monaten zu erwarten ist.
Um einen einheitlichen Rechtsrahmen für die Einführung der Bezahlkarte zu schaffen, hat sich die Bundesregierung auf eine Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes geeinigt. Nachdem Bundestag und Bundesrat zugestimmt hatten, wurde die Änderung am 26. April 2024 verabschiedet. Diese Novelle sieht die Einrichtung einer Bezahlkarte ohne Bankkonto vor, auf die Geflüchtete und Asylbewerber*innen einen monatlichen Beitrag erhalten sollen. Die genaue Umsetzung der Bezahlkarte wird den jeweiligen Bundesländern überlassen. Geflüchtete und Asylbewerber*innen sollen den gleichen Betrag wie bisher erhalten, nämlich 460 € bzw. 413 € bei Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft. Durch die Bezahlkarte unterliegt dieser Geldbetrag mehreren neuen Bedingungen, z. B. kann er nur innerhalb Deutschlands verwendet werden, es sind keine Überweisungen möglich und es können nur maximal 50 € oder weniger in bar abgehoben werden – je nach den Vorschriften des jeweiligen Bundeslandes.
Insgesamt ist vieles noch ungewiss, weshalb sich Teile der hier genannten Sachverhalte zu einem späteren Zeitpunkt noch ändern können.
Politischer Hintergrund und kritische Stimmen
Geflüchtete, die in Deutschland Schutz suchen und ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können, haben Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Diese Leistungen werden in Form von Sachleistungen, Bargeld oder Wertgutscheinen ausgezahlt. Künftig sollen geflüchtete Personen finanzielle Leistungen eben nur noch über die sogenannte Bezahlkarte erhalten. Darauf einigten sich die Ministerpräsidentenkonferenz und die Bundesregierung, woraufhin auch das Bundeskabinett am 1. März 2024 einer Änderung des Gesetzes zustimmte. Auch die Ampel hat sich inzwischen auf eine bundesweite Rechtsgrundlage verständigt. Betroffen sind Personen, die ein Asylgesuch beantragt haben, aber deren Antrag sich noch in Bearbeitung befindet oder bereits abgelehnt wurde, die aber von der Duldung Gebrauch gemacht haben (§1 AsylbLG).
Aus Regierungsperspektive sei die Bezahlkarte zum einen dafür gedacht, den Verwaltungsaufwand zu senken. Zum anderen sollen durch die eingeschränkte Verwendung der Karte Überweisungen in die Herkunftsländer verhindert werden. Ein weiteres Argument ist, dass Deutschland für Geflüchtete an Attraktivität verlieren soll. Auch das populistische Narrativ, dass Geflüchtete großzügige Sozialleistungen erhielten und in anderen Bereichen bevorzugt würden, lässt sich in der Forderung einer Kontrolle der Ausgaben durch die Bezahlkarte wiederfinden. „Wir stoppen Online-Shopping, Glückspiel und Überweisungen ins Ausland. Bargeld gibt es nur noch als kleines Taschengeld bis 50 Euro“, so sprach sich der bayerische Ministerpräsident, Markus Söder, für die Einführung der Bezahlkarte aus. Eine einwanderungsfeindliche Rhetorik wird immer stärker auch von Politiker*innen demokratischer Parteien befeuert und zeigt den bedenklichen Kurs der Politik im Umgang mit Schutzsuchenden in Deutschland.
Es gibt aber auch kritische Stimmen aus der Politik. Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, äußerte Bedenken im Hinblick auf die Umstellung. Es sei nicht akzeptabel, dass Menschen durch Bezahlkarten als Geflüchtete identifizierbar werden. Auch das brandenburgische Nonnenmacher-Ressort begründete das Veto gegen ein 50-Euro Taschengeld damit, dass es sich ungebrochen für ein menschenwürdiges Dasein für Geflüchtete einsetzt.
In erster Linie sollte überprüft werden, in welchem Maß die Bezahlkarte die Arbeit der Verwaltung effizienter macht. Laut Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und des DeZIM Instituts ist die geplante Umstellung der Bargeldzahlungen mit höheren Kosten und Belastungen des Sozialsystems verbunden. Zudem zeigen Daten aus der Zahlungsbilanzstatistik der Deutschen Bundesbank, dass das Volumen der Überweisungen ins Ausland eher gering ist.
Die negativen Auswirkungen auf Integration und Teilhabe ergeben sich aus der Einschränkung der existenzsichernden Leistungen und können die Chance auf Mobilität, Kommunikation und sozio-kulturelle Teilhabe immens einschränken, so die Studie des DeZIM Instituts. Ob diese negativen Effekte in größerem Umfang auftreten werden, hänge von der Ausgestaltung der Bezahlkarte ab. Je mehr die Bezahlkarte einem allgemeinen Zahlungsmittel wie einer Kredit- oder Scheckkarte gleichkomme, desto geringer seien die zu erwartenden negativen Auswirkungen. Das wird davon abhängen, wie sich die Umsetzung durch die Länder und Kommunen gestalten wird.
Interview mit Omar von Migranos Movement
Als Freiwilliger der Organisation Migranos Movement steht Omar Alkadamani in ständigem Kontakt mit Geflüchteten und Asylbewerber*innen, berät sie in rechtlichen und sozialen Fragen und leistet Aufklärungsarbeit zu den Themen Flucht und Asyl. Seit einigen Monaten gehört auch die Bezahlkarte zu seinem Aufgabenbereich. Da diese erst vor kurzem und nur in einigen Kommunen eingeführt wurde, gibt es bisher wenig Rückmeldungen und persönliche Einblicke von denjenigen, die sie nun nutzen müssen. Omar hat jedoch eine Reihe von Kritikpunkten bezüglich der Bezahlkarte, die von “unpraktisch” bis “diskriminierend” reichen
Zunächst einmal weist Omar darauf hin, dass der rechtliche Rahmen für die Bezahlkarte recht vage ist und viel Spielraum für Änderungen lässt. Dies führt nicht nur bei den Betroffenen, sondern auch bei beratenden Hilfsorganisationen zu einem hohen Maß an Unsicherheit und Ungewissheit. So könne beispielsweise jedes Bundesland einen anderen Höchstbetrag für monatliche Bargeldabhebungen festlegen, wobei ein bundesweit verbindlicher Höchstbetrag von 50 € gilt. Nach Einschätzung von Omar ist der Höchstbetrag von 50 € bereits recht niedrig, da viele Dienstleistungen und Waren in Einkaufsstätten in Deutschland nur gegen Bargeld angeboten werden, beispielsweise in vielen Friseursalons sowie in Second-Hand-Geschäften oder auf Flohmärkten. Gerade der eingeschränkte Zugang zu preiswerteren und gebrauchten Waren könnte dann dazu führen, dass Geflüchtete und Asylbewerber*innen neue und vergleichsweise teurere Waren kaufen müssen und so weiter finanzielle Flexibilität einbüßen.
Wie Omar weiter ausführt, steht darüber hinaus noch nicht fest, wo die Bezahlkarte eingesetzt werden kann. Es ist noch nicht einmal klar, ob sie mit den gängigen EC-Kartenlesegeräten kompatibel sein wird. Sollte dies nicht der Fall sein, würden die Möglichkeiten, wo die Betroffenen Waren oder Dienstleistungen erwerben können, noch weiter eingeschränkt.
Eine weitere wesentliche Einschränkung ist die Tatsache, dass mit der Bezahlkarte keine Überweisungen getätigt werden können, so Omar. Durch die Bezahlkarte würde es deutlich komplizierter, beispielsweise einen Sportverein zu bezahlen oder einen Handyvertrag abzuschließen. Es ist zwar immer noch möglich, Prepaid-SIM-Karten zu kaufen oder Mitgliedschaften in bar zu bezahlen, die damit verbundenen Verfahren sind jedoch wesentlich aufwendiger. Außerdem, so Omar weiter, wird es schwierig sein, ohne die Möglichkeit von Überweisungen für Rechtsbeistand – beispielsweise für Asylangelegenheiten – zu bezahlen.
Neben diesen Einschränkungen und Unannehmlichkeiten, die voraussichtlich damit einhergehen, betont Omar den Diskriminierungsfaktor der Bezahlkarte. Auch wenn der Grad der Diskriminierung je nach äußerer Gestaltung der Karte variiert, so ist sie doch generell ein Alleinstellungsmerkmal, das Geflüchtete und Asylbewerber*innen vom Rest der deutschen Gesellschaft trennt. Es könnte hier immerhin ein unauffälliges Design gewählt werden, das einer EC- oder Kreditkarte ähnelt. Viele aktuelle Designs weisen jedoch die Begriffe "Bezahlkarte" oder "Bezahl Karte" auf, so dass klar erkennbar ist, ob jemand eine EC- oder Kreditkarte oder die Bezahlkarte verwendet. In diesem Zusammenhang äußert Omar die Befürchtung, dass Menschen, die die Bezahlkarte nutzen müssen, beleidigt oder angegriffen werden könnten, wenn sie bei der Benutzung dieser gesehen werden. Da diese sie eindeutig als Geflüchtete bzw. Asylbewerber*innen kennzeichnet, werden sie hier einer zusätzlichen Gefahr ausgesetzt. In der heutigen Zeit, in der Angriffe auf Politiker*innen und Asylbewerber*innen ohnehin zunehmen, sei dies besonders beunruhigend, fügt Omar hinzu.
Darüber hinaus gibt er zu bedenken, dass die Bezahlkarte einer Gruppe von Menschen aufgezwungen wird, die ohnehin schon wenig Einfluss auf ihre Stellung innerhalb der deutschen Gesellschaft hat. Zudem haben viele von ihnen sowohl in ihren Herkunftsländern als auch auf ihren Fluchtwegen schreckliche Erfahrungen und ständige Angst durchlebt. Die Einführung solcher spaltender Maßnahmen sende die falschen Signale und vermittle den Eindruck, nicht willkommen zu sein, in einem Land, das sich verpflichtet hat, Menschen zu schützen. Omar befürchtet auch, dass die Bezahlkarte auf Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis oder einem anderen Aufenthaltsstatus, der keine volle Staatsbürgerschaft darstellt, ausgeweitet werden könnte. Er vermutet, dass politisches Kalkül bei der Entscheidung für die Bezahlkarte eine Rolle gespielt hat. Parteien der Opposition, wie die AfD (Alternative für Deutschland), oder die CDU (Christlich Demokratische Union), verwenden zunehmend eine einwanderungsfeindliche Rhetorik, die das Recht auf Asyl in der EU-Grundrechtecharta in Frage stellt.
Abschließend stellt Omar fest, dass vieles an der Bezahlkarte noch ungewiss ist, aber das Konzept an sich schon ein diskriminierendes System darstellt, das zu stark in die finanzielle Selbstbestimmung der Menschen eingreift. Er ist auch skeptisch, ob die Einführung für Deutschland tatsächlich von Vorteil sein wird, da die offiziellen Begründungen für die Bezahlkarte teilweise auf Spekulationen und unbewiesenen Behauptungen beruhen – beispielsweise ein geringerer Verwaltungsaufwand oder eine Verringerung von Pull-Faktoren.
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