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Die gefährliche Grenze am Evros

Gewalt, Pushbacks und Todesfälle passieren nicht nur entlang der Fluchtrouten über das Ägäische Meer, sondern auch auf dem Landweg im Nordosten Griechenlands. Eine wichtige Rolle beim Übertritt von der Türkei nach Europa spielt der Grenzfluss Evros (Bulgarisch: Mariza, Türkisch: Meric Nehri). Er ist nicht nur das größte Hindernis, sondern auch ein stiller Zeuge kontinuierlicher Menschenrechtsverletzungen.






Pushbacks an Land


Knapp 200 Kilometer misst die Landesgrenze im Norden Griechenlands zur Türkei. Getrennt werden die beiden Länder über fast die gesamte Strecke vom Fluss Evros. Dieser ist zwar nirgendwo im Grenzgebiet breiter als 50 und tiefer als fünf Meter, jedoch macht ihn die schnelle Strömung zum gefährlichen Hindernis für die Geflüchteten, die trotz der kurzen Distanz auf Schlepper mit ihren Schlauchbooten angewiesen sind.


Erklärtes Ziel der griechischen Regierung ist es, den Landweg vollständig gegen Migrant*innen abzuriegeln und alle Regionen abzusichern, die zu Fuß passiert werden können. Dafür haben sie an der einzigen Stelle, an der das Gewässer keine natürliche Grenze der beiden Staaten bildet, bereits vor Jahren 35 Kilometer Grenzzaun errichtet. In Zukunft soll dieser um weitere 80 Kilometer ausgebaut werden.


In ihrem Vorhaben setzen die Behörden aber nicht nur auf befestigte Grenzanlagen, sondern auch auf die brutale Praxis der Pushbacks. Die griechische Regierung brüstet sich damit, seit Jahresbeginn rund 150’000 irreguläre Grenzübertritte verhindert zu haben.


Die gefährliche Fahrt über den Fluss und die Angst davor, zurückgeschickt zu werden, führen immer wieder dazu, dass Menschen beim Versuch, den Evros zu überqueren, den Tod finden. Allein dieses Jahr haben bereits mehr als 50 Menschen beim Versuch, nach Europa zu gelangen, in der Region ihr Leben gelassen.


Unwürdige Behandlung an der Landgrenze


Wie menschenverachtend mit Geflüchteten in der Evros-Region umgegangen wird, zeigt die Geschichte von Hassan Abdulkadir, wie kürzlich in der «Frankfurter Rundschau» berichtet wurde. Gemeinsam mit seinem Bruder Akram nahm er den Weg nach Europa auf sich. Er befindet sich inzwischen in Deutschland. Akram ließ dabei sein Leben – in Gewahrsam griechischer Milizen.


Nach der erfolgreichen Überfahrt über den Evros versteckten sich die beiden Syrer mit anderen Geflüchteten in einem Waldstück in der Nähe der griechischen Kleinstadt Orestiada, als sich Akrams Gesundheitszustand zusehends verschlechterte. Schließlich brach er zusammen und begann zu halluzinieren, worauf Hassan den griechischen Notruf wählte.


Anstelle der lebensrettenden Ambulanz, erschien jedoch die Polizei und setzte die Geflüchteten fest. Auf den Posten wurden sie dann allerdings nicht gebracht, sondern die Uniformierten übergaben sie an eine weitere Gruppe von schwarzgekleideten Männern, die weder Uniform noch staatliche Erkennungsmarkentrugen und mit einem zivilen Fahrzeug unterwegs waren.


Sie wurden zu einem Gebäude voller Arrestzellen transportiert, wo bereits eine große Zahl von Menschen inhaftiert war. Die meisten davon kamen aus Syrien, es gab aber auch einige aus Afghanistan, der Türkei oder aus verschiedenen afrikanischen Ländern. Ihre Wertsachen wurden ihnen abgenommen – Wasser erhielten sie keines. Als Hassan aus der Zelle nach Hilfe für seinen Bruder rief, wurden sie mit einem Holzstock geschlagen.


Am Abend desselben Tages wurden alle Gefangenen in Minibusse gezwängt. Auch Akram, der inzwischen nicht mehr imstandewar selbstständig zu gehen und dessen Zustand sich weiter verschlechterte. Eingepfercht zwischen mehr als 20 Menschen starb Akram schließlich auf dem Weg an den Grenzfluss Evros, verschleppt von eben jenen maskierten Männer, von denen immer wieder in den Grenzregionen berichtet wird. Es sind eben jene Menschen, die DER SPIEGEL, das ARD-Magazin Monitor und andere Medien als «Schattenarmee» bezeichnen.


Ein Grund anzuhalten war das allerdings nicht, geschweige denn Hilfe zu leisten. Im Gegenteil, einmal am Fluss angekommen, trieben die schwarzgekleideten Männer die Geflüchteten in den Fluss und in Richtung Türkei. Auch Hassan, der mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen wurde, die Leiche seines Bruders am Ufer zurückzulassen.


Evros Region ist Sperrgebiet


Die Geschichte der Brüder Abdulkadir ist nur eines von vielen Beispielen, mit welcher Menschenverachtung die griechischen Behörden ihre Grenzen sichern und mit welcher Brutalität Pushbacks durchgeführt werden. Immer wieder wird publik, dass ganze Gruppen von Geflüchteten von nicht gekennzeichneten Männern festgesetzt und in Gefängnissen festgehalten werden, ohne Zugang zu Wasser, Nahrung oder sanitären Anlagen.


Und in vielen Fällen werden die Menschen schlussendlich mit Gewalt dazu genötigt, in Schlauchboote zu steigen und über den Fluss zurück auf die Türkische Seite zu fahren.


Was genau in der Evros Region passiert, ist jedoch schwer zu überprüfen. Die ganze Region ist bereits seit Jahren militärische Sperrzone. Reporter oder NGOs sind hier nicht geduldet und selbst einigen EU-Parlamentariern wurde der Zutritt verwehrt, als sie die Situation in Augenschein nehmen wollten.


Einmal mehr zeigt sich, dass die griechischen Behörden nicht vor Menschenrechtsverletzungen und strategischer Intransparenz zurückschrecken, um ihre Grenzen zu sichern und die Festung Europa auszubauen. Wie immer auf Kosten der Menschen, die auf der Suche nach einem würdigen Leben sind.


Wir fordern sichere Routen für alle und den sofortigen Stopp aller Pushbacks!





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