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Der EU-Migrationsgipfel: Die neue Realität

Seit Jahren nimmt die europäische Abschottungspolitik zu, verschiedenste Staaten an der europäischen Peripherie bauen Zäune, installieren moderne Überwachungstechnologie und wenden physische Gewalt an ihren Grenzen an. Der EU-Migrationsgipfel Anfang Februar verdeutlicht, wie sehr dieses Vorgehen auch von Brüssel durchaus gedulded und teilweise sogar gefördert wird.




Auf der Sondertagung des Europäischen Rates am 9. Februar nahm der Rat Schlussfolgerungen zum anhaltenden Krieg in der Ukraine, zum Dialog zwischen Belgrad und Pristina, zum Erdbeben in der Türkei und in Syrien sowie zur Migration an. Zum letztgenannten Thema einigte sich der Rat auf

„die Umsetzung ihrer früheren Schlussfolgerungen zu einem umfassenden Migrationskonzept im Einklang mit den Grundsätzen und Werten der EU sowie den Grundrechten bewertet, mit Schwerpunkt auf verstärktem auswärtigen Handeln, einer wirksamen Kontrolle der EU-Außengrenzen und internen Aspekten.“


Diese besorgniserregenden Beschlüsse wurden von zivilgesellschaftlichen und Menschenrechtsorganisationen und der Mehrheit der europäischen Solidaritätsgemeinschaft bereits in den Wochen vor dem Gipfel befürchtet. Im Vorfeld der Sitzung kursierten in den Medien alarmierende Berichte, die auf verstärkte Abschreckungstaktiken hinwiesen, welche nun tatsächlich umgesetzt werden sollen. In diesem Blogbeitrag werden wir einen genaueren Überblick über diese Maßnahmen bieten.


Erstens wurde erneut verdeutlicht, dass die Europäische Grenz- und Küstenwache FRONTEX weiterhin die "uneingeschränkte Unterstützung" des Rates haben wird. Außerdem wurde um erneute Vereinbarungen zwischen FRONTEX und sogenannten Drittstaaten angefragt. Wir haben bereits in der Vergangenheit über die zahlreichen Vorwürfe und Versäumnisse von Frontex in Bezug auf die Einhaltung der humanitären Verpflichtungen an den Außengrenzen berichtet. Zweitens soll der aktuelle Aktionsplan für den Balkan und den zentralen, westlichen und östlichen Mittelmeerraum von der Kommission bis Ende des Monats vorgelegt werden, wobei betont wurde, dass die Überwachung der Visapolitik in den Nachbarländern verstärkt werden soll. Drittens wurde ein Schwerpunkt auf "Migrantenschleusung" gelegt, die durch strengere Datenerfassung bekämpft werden sollen, sowie durch härtere Sanktionen für jedes Unternehmen, das in "Schleuserkriminalität" verwickelt ist.


Viertens ersuchte der Rat die Mitgesetzgeber der EU auf, ihre Arbeit an der Asylpolitik bald abzuschließen. Hintergrund dieses wichtigen Punktes ist die so genannte "EU-Asylreform", die im Rahmen des "Gemeinsamen Europäischen Asylsystems" (GEAS) entwickelt wurde, mit dem Ziel, die Asylantragsverfahren aller EU-Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen. Hauptziele sind, neben des "gemeinsamen europäischen“ Rahmens, die Schaffung eines Systems, das "auf den Migrationsdruck besser reagieren" wird und die am stärksten involvierten Mitgliedsstaaten besser unterstützt. Während Project Elpida mit den Bemühungen um eine Aufnahme von Fluchtmigrant:innen von mehr Ländern prinzipiell zustimmen würde– - zumal die meisten Menschen, die von Fluchtmigration betroffen sind, in der Regel nicht an ihrem ersten Ankunftsort bleiben wollen – ist die Sprache, die von den EU-Mechanismen verwendet wird, zunehmend besorgniserregend, da sie stark impliziert, bei Flucht-Migration würde es sich um ein Sicherheitsproblem handeln, das Ähnlichkeit zu Fragen der "traditionellen" Verteidigung hätte.


Zwar könnte die Ausübung von Druck auf diejenigen Mitgliedsstaaten, die sich weigern, mehr Geflüchtete aufzunehmen, in der Zukunft eventuell schwerwiegende unmenschliche Situationen wie die im berüchtigten Moria-Lager auf Lesbos und anderen griechischen Inseln verhindern. Jedoch gibt es wenig Grund zur Hoffnung, da der Erbau neuer Lager selbst in EU-Erstaufnahmeländern zu anderen Problemen geführt hat, wie der verstärkten Abschottung und Isolierung ihrer Bewohner:innen und den Einsatz von erweiterten Überwachungsmechanismen ermöglicht hat. Zudem ist angesichts der immer stärker werdenden migrationsfeindlichen Sentiments in den meisten EU-Ländern davon auszugehen, dass wenig Fokus auf menschenwürdige und gerechte Unterbringungsmöglichkeiten gewidmet wird.


Eine der beunruhigensten Meldungen, die im Zuge der EU-Agenda für 2023 Aufmerksamkeit erlangten, ist die Forderung, einen -Zaun entlang der bulgarisch-türkischen Grenze durch 2-Milliarden-Euro EU-Gelder zu finanzieren, die vor allem durch den österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer vertreten wurde. Aktuell hat Ursula von der Leyen, die Vorsitzende der EU-Kommission, diesen Plan abgelehnt. Der Bau von Mauern und Zäunen, der gerade in Deutschland abgelehnt wurde, weil er durch die eigene jahrzehntelange Teilung symbolisch aufgeladen war, ist nun in Mode gekommen. Damit soll keineswegs gesagt werden, dass Deutschland ein vehementer Gegner der Befestigung der europäischen Außengrenzen war; das Gegenteil ist der Fall. Allerdings war allein die Erwähnung des Baus neuer Mauern in Europa ein durchaus heikles Thema in der deutschen Politik.


Dies ist vermutlich zum Teil auf ihre erhoffte Kandidatur bei den kommenden Wahlen im Jahr 2024 zurückzuführen, für die sie die Unterstützung der zentral-linken und grünen Parlamentariern bräuchte, und die eine solche Maßnahme mehrheitlich nicht unterstützen würden.


Allerdings hat die Kommissionspräsidentin in ihrer Rede während des Gipfels auch eine Rhetorik in Bezug auf Fluchtmigration an den Tag gelegt, die das Narrativ der Bedrohung und nicht der Solidarität hervorhebt. Außerdem schreckte sie nicht davor zurück, das Thema der türkisch-bulgarischen Grenze mit einzubeziehen:


"Wir können die Kapazitäten zum Grenzmanagement ausbauen.Wir können auch Infrastruktur und Ausrüstung wie Drohnen, Radargeräte und andere Überwachungssysteme bieten"

Darüber hinaus rief sie den Ratsmitgliedern in Erinnerung, dass diese Strategie in den letzten sechs Jahren bereits in Rumänien, Griechenland, Spanien und Polen eingesetzt worden sei. Dies klingt vielleicht nach einer Kriegserklärung gegen eine unbewaffnete, nicht-kriegführende Partei klingt, weil es genau das ist: Der verstärkte Einsatz militaristischer Taktiken zur angeblichen "Eindämmung" von Fluchtmigration in Europa hat sich als vielschichtiges Problem erwiesen, dass Project Elpida bereits in anderen Blogbeiträgen untersucht hat, um das Bewusstsein für den Einsatz privater Militärfirmen („PMCs“) und militanter Einheiten zu schärfen, die Gewalt gegen Migrant:innen und Geflüchtete an den europäischen Peripherien anwenden.


Einem Artikel von Politico zufolge sieht die Überarbeitung der Asylpolitik, deren Abschluss für das Jahr 2023 vorgesehen ist, eine Beteiligung der EU an der Errichtung von Aufnahmeeinrichtungen außerhalb ihrer eigenen Grenzen vor, beispielsweise in afrikanischen Ländern. Dieser skurrile "Outsourcing"-Ansatz wird bereits von Großbritannien seit der Auflösung seiner EU-Mitgliedschaft umgesetzt, und zwar durch das euphemistisch benannte "UK-Rwanda Migration and Economic Development Partnership"-Abkommen, das im Frühjahr 2022 in Kraft getreten ist.


Zu der erwähnten Kategorie der „Drittstaaten“ gehört auch Türkiye, das seit 2016 Vertragspartner der EU im sogenannten „EU-Türkei-Deal“ ist, mit dem Ziel einer Reduzierung der Flucht- und Migrationsbewegungen in die Mitgliedstaaten. Angesichts der Pläne, den "Deal" im März 2023 gemeinsam zu erneuern, haben viele humanitäre Organisationen ihre Besorgnis über den migrationspolitischen Kurs der EU zum Ausdruck gebracht.


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