Seit 2019 ist die Nea Dimokratia unter der Führung von Kyriakos Mitsotakis an der Regierung. Diese Jahre sind im Kontext von Migration geprägt von Abschottung, Ausgrenzung und Kriminalisierung. In unserem aktuellen Advocacy Blog lassen wir die vergangenen 4 Jahre Revue passieren.
Obwohl Griechenland seit Anfang des 20. Jahrhunderts ein Transitland für Geflüchtete und Migrant:innen ist, wurde dies erst seit 2015 stark politisiert und das Land erlangte seit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ internationale Aufmerksamkeit für seine geografische Lage als „europäische Außengrenze“. Seit dem Wahlsieg der Mitte-Rechts-Partei Nea Dimokratia und ihres Präsidentschaftskandidaten Kyriakos Mitsotakis im Jahr 2019 ist die Regierung aufgrund einer starken Zunahme sogenannter Pushbacks am Land und auf See sowie der Errichtung neuer, abgeschotteter und streng kontrollierter Camps wiederholt in die Kritik geraten. Am 21. Mai steht Mitsotakis nun zur Wiederwahl. Die Situation von Asylsuchenden und Vertriebenen im Allgemeinen ist zwar bei weitem nicht das einzige brisante Thema im Hinblick auf die bevorstehenden Parlamentswahlen, aber es steht dennoch im Mittelpunkt. In diesem Blogeintrag stellt Project Elpida die wichtigsten Entwicklungen und Maßnahmen seit dem Amtsantritt von Mitsotakis vor und gibt einen Ausblick auf das, was im Falle eines erneuten Wahlsiegs im Mai zu erwarten ist.
2019: Nea Dimokratia gewinnt die Wahlen
In den ersten Monaten seit Mitsotakis' Amtsantritt mit der Nea Dimokratia im Jahr 2019 setzte die Regierung ein Gesetz durch, das die Abschiebung von Asylbewerber:innenn, deren Antrag abgelehnt wurde, erheblich erleichterte. Einem Bericht von POLITICO aus dem Jahr 2019 zufolge erklärte die damals neu gewählte Partei, dass diese Maßnahmen den allgemeinen Einstellungen der Wähler:innen entsprachen, da Umfragen im Vorfeld der Wahlen gezeigt hatten, dass Fragen im Zusammenhang mit den Flüchtlings- und Migrationsbewegungen für die breite Öffentlickeit eine Priorität darstellten. Tatsächlich hatte der Hohe Kommissar des UNHCR, Filippo Grandi das Land zum Zeitpunkt des Regierungswechsels besucht und berichtete daraufhin, dass „Geduld und Gastfreundschaft jetzt weniger sichtbar sind als zuvor“. Die Politik von Mitsotakis in den letzten vier Jahren kann nicht als ernsthaftes Bemühen um die Schaffung eines gerechten Systems für Einheimische und geflüchtete Menschen bezeichnet werden. Vielmehr dürfte allein seine polemische Rhetorik weitere Konflikte fördern und die zahllosen Menschenrechtsverletzungen, die in dieser Legislaturperiode begangen wurden, haben die Gesamtsituation für Menschen, die auf eine sichere Ankunft in der EU hoffen, noch verschlechtert.
Als der Premierminister im Mai 2021 das griechische Asylministerium besuchte, beschrieb er eine Strategie mit „sechs kritischen Punkten“. Erstens erklärte er, dass er den "Schutz der Grenzen zu Wasser und zu Lande" anstrebe, und zweitens eine strikte Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und „Wirtschaftsmigranten“, die eine „Rückführung“ derjenigen, die kein „Recht auf internationalen Schutz“ haben, leichter ermöglichen würde. Der vierte „kritische Punkt“ seiner Politik war die Einrichtung geschlossener, kontrollierter Infrastrukturen. Darüber hinaus betonte er die angebliche Notwendigkeit der „Transparenz von Nichtregierungsorganisationen, die im Management der Flüchtlingsfrage involviert sind“. Eine Folge dieser Formulierung ist die zunehmend systematische Kriminalisierung von Humanitären in Griechenland. Wir haben in einem früheren Blog bereits über den Fall von Sarah Mardini und Séan Binder gesprochen. Schließlich beschrieb er seinen letzten Punkt als die Erlangung von „Gerechtigkeit für jeden, der das Recht hat, im Land zu bleiben“, nachdem ein Asylantrag angenommen werden würde, begleitet von „konzentrierten Integrationsbemühungen“. Außerdem sprach er über den Rückgang der Ankünfte von Geflüchteten und Migrant:innen in Griechenland, die ihm zufolge von 72.000 im Jahr 2019 auf 15.000 im Jahr 2020 und „nur 2.500 im Jahr 2021“ gesunken seien. Dieser Rückgang sei signifikant und „besonders auf den Inseln der Ägäis zu spüren“. Migrationsminister Notis Mitarakis stimmte zu, dass dies eine Entwicklung von großer Bedeutung sei, ebenso wie die Reduzierung der so genannten „Schmuggleraktivitäten“ an den Grenzregionen des Landes.
Mit dem Narrativ des „Grenzschutzes“ legitimieren die Vertreter der Regierungspartei somit reaktionäre Theorien, wonach Vertriebene eine angebliche Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellen; eine Stimmung, die in den letzten zehn Jahren in der gesamten EU deutlich zugenommen hat. Darüber hinaus steht der Rückgang der Ankunftszahlen zweifellos im Zusammenhang mit der Zunahme illegaler Pushbacks und Abschiebungen seit Regierungsantritt der Nea Dimokratia. In der Tat hat Mitsotakis diese Praktiken in gewisser Weise selbst zugegeben. Im November 2021 äußerte sich der Premierminister in der ITV-Sendung Good Morning Britain zu diesem Thema und erklärte, dass Griechenland in den letzten drei Jahren mehr als 50.000 Asylanträge angenommen habe und dass „daher niemand das Recht habe, Griechenland zu beschuldigen, die Menschenrechte nicht zu achten“. Wie wahr kann diese letzte Aussage jedoch sein, wenn man den Rest des Fernsehinterviews betrachtet? Kurz darauf antwortete er nämlich auf die Frage, ob sich seine Regierung an der Zurückdrängung von Flüchtlingsbooten beteilige, wie folgt: „Wir lassen nicht zu, dass Boote aus der Türkei in unsere Hoheitsgewässer eindringen“, und betonte, dass es in der Verantwortung der türkischen Regierung liege, ihrer im EU-Türkei-Abkommen festgelegten Rolle gerecht zu werden. Im Jahr 2022 verteidigte er diese Haltung auf einer Plenarsitzung in Straßburg weiter und widersprach damit den zahlreichen Berichten von Menschenrechtsaktivisten und internationalen humanitären Organisationen über illegale Pushbacks. Mitsotakis behauptete erneut, dass der Urheber dieser Anschuldigungen - die sich auf gründliche Investigationen stützen - die türkische Regierung sei, als Teil einer umfassenderen Propaganda-Strategie. Dies zeugt nicht nur von einem eklatanten Mangel an Rechenschaftspflicht und Transparenz seitens der Regierung. Vielmehr bergen diese öffentlichen Äußerungen auch das Potenzial, die Spannungen in den griechisch-türkischen Beziehungen weiter zu verschärfen und die Bemühungen um die Überwindung einer langjährigen Feindschaft teilweise zu untergraben.
Wird Mitsotakis Wirklich Seinen Zaun Bauen?
Die Politik von Kyriakos Mitsotakis hat über die letzten vier Jahre wiederholt internationale Aufmerksamkeit erregt. Über den Bau zahlreicher stark überwachter und abgeschirmter Lager, seine hitzige und unprofessionelle Reaktion auf die Fragen der niederländischen Journalistin Ingeborg Beugel und seine Politik der verstärkten Polizeipräsenz in griechischen Stadtgebieten und auf vielen Inseln wurde ausführlich berichtet. Es ist jedoch wichtig, nicht nur die Entwicklungen der letzten vier Jahre in den Blick zu nehmen, sondern auch einen Ausblick auf das zu bewahren, was im Falle seiner Wiederwahl im Mai dieses Jahres möglicherweise bevorstehen könnte. Als in den letzten Monaten alarmierende Berichte über Europaabgeordnete auftauchten, die den Bau eines Zauns entlang der griechisch-türkischen Landgrenze unterstützen würden, wurde klar, dass der griechische Premierminister dieser Idee nicht abgeneigt war. Jetzt hat Mitsotakis vergangene Woche angekündigt, dass der bestehende Zaun entlang der türkischen Grenze zur Evros-Region, der derzeit etwa 37 Kilometer lang ist und in Zusammenarbeit mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex errichtet wurde, um weitere 100 Kilometer erweitert werden soll. Diese Pläne, so versicherte er dem griechischen Parlament, würden „mit oder ohne EU-Gelder“ durchgesetzt werden und sollen 99,2 Millionen Euro kosten. Während die parlamentarische Opposition diese schockierende Enthüllung anprangerte, bleibt noch unklar, was im Falle eines Wahlgewinns einer anderen Partei oder der Formierung einer Koalition geschehen würde, der noch vor der Fertigstellung des Zaunbaus möglich wäre. Außerdem ist es wichtig anzumerken, dass Mitsotakis von der EU immer wieder für seine Migrationspolitik Lob erhielt. Auch wenn Zäune für einige Unionsvertreter:innen derzeit einen Schritt zu weit zu sein scheinen, ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass dieses unmenschliche Projekt in Zukunft von der EU maßgeblich unterstützt werden wird.
Während die Nea Dimokratia durch die Politik der illegalen Pushbacks seit 2019 für eine Eskalation der Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist, hatte die Regierungspartei auch einiges an Lob für die Aufnahme von Menschen erhalten, die vor der Invasion in der Ukraine ab Februar 2022 flohen. Einem Bericht des New Humanitarian zufolge seien in den ersten vier Monaten seit der russischen Offensive rund 72.000 Ukrainer:innen in Griechenland angekommen, von denen mehr als 18.000 Schutz im Rahmen der EU-Richtlinie über vorübergehenden Schutz (Temporary Protection Directive, TPD) beantragt hätten, die zuvor noch nie genutzt worden war. Eine Sprecherin des Greek Council for Refugees erklärte, die Aufnahme der aus der Ukraine flüchtenden Menschen sei sehr positiv verlaufen. Als Bedenken über die unterschiedliche Behandlung von Geflüchteten aus der Ukraine und Menschen aus Ländern wie Afghanistan, Somalia, der Demokratischen Republik Kongo oder Syrien geäußert wurden, wurde deutlich, dass das System, zu dem Erstere Zugang haben, völlig unterschiedlich ist. Eine Advocacy-Koordinatorin des International Rescue Committee in Griechenland erklärte, dass sie zwar die damals neu geschaffenen Strukturen für Geflüchtete aus der Ukraine befürwortete, dass sie und andere im humanitären Sektor jedoch seit langem für die Öffnung sicherer Routen auch für andere Gruppen eintraten. Der eklatante Unterschied in der Behandlung bestimmter Bevölkerungsgruppen macht die in den letzten vier Jahren begangenen Ungerechtigkeiten nur noch deutlicher. Letztendlich liegt es in der Verantwortung der EU und all ihrer Mitgliedstaaten, sich auf ihre proklamierte universalistische humanitäre Weltanschauung zu berufen und Menschenrechtsverletzungen unabhängig vom ethnischen Hintergrund der Personen auf der Flucht zu beenden. Anstatt Politiker wie Kyriakos Mitsotakis zu unterstützen, muss die Union die Regierungen zur Rechenschaft ziehen, die sich nicht an das Völkerrecht halten.
Die Ägide von Kyriakos Mitsotakis seit 2019 ist migrationspolitisch geprägt von Abschottung und einer Priorisierung nationalen Territoriums, gleich welcher illegalen Methoden er sich dabei bedienen muss. Die Rhetorik von Flüchtlingen als Gefahr für die innere Sicherheit und Destabilisatoren des Landes hat sich mittlerweile eingebürgert. Ob sich selbst bei einem Wahlsieg der SYRIZA etwa ändert ist ungewiss, sicher ist jedoch, dass ein Wahlsieg Mitsotakis in seinem Vorgehen bekräftigen würde, was die Abschottungspolitik wohl noch weiter vorantreiben würde.
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