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Ella Kiziltepe

Filmrezension: “The other half”

„The Other Half“ von Giorgos Moutafis ist eine rohe, unerschrockene Darstellung der Flüchtlingskrise, die sich an den Grenzen Europas abspielt. Als Fotojournalist, der zum Filmemacher wurde, bringt Moutafis eine einzigartige Perspektive in dieses gut dokumentierte Thema ein und bietet den Zuschauenden einen hautnahen und sehr persönlichen Einblick in die erschütternde Reise der Migranten*innen auf der Suche nach Sicherheit und einem besseren Leben.



Eine Stärke des Dokumentarfilms liegt in seiner Fähigkeit, neue Blickwinkel auf ein scheinbar „vertrautes“ und allzu bekanntes Thema zu finden - was Zuschauende mit der eigenen Unwissenheit und den eigenen Gefühlen der Verzweiflung konfrontiert. Moutafis Kamera taucht in unzugängliche Orte ein und fängt Momente der Verzweiflung, Angst und Menschlichkeit ein, die in der Berichterstattung der Mainstream-Medien oft übersehen werden. Das Ergebnis ist ein Flickenteppich aus lebendigen, oft verstörenden Szenen, die unser Verständnis von der Erfahrung der Migrant*innen in Frage stellen.


Einer der eindrucksvollsten Aspekte des Films ist die Darstellung der schieren Brutalität der europäischen Grenzkontrollen. Wir werden Zeugen, wie Migrant*innen von „Kommandos“ aufgegriffen und gewaltsam in türkisches Hoheitsgebiet zurückgedrängt werden, wobei sie ihrer Würde und ihres Besitzes beraubt werden.Dabei schreckt Moutafis nicht davor zurück, die grausame Realität des Menschenschmuggels zu beleuchten: Verzweifelte Menschen, die mehrere Schichten Kleidung tragen, die sie beim Versuch der tückischen Überquerung des Meeres beschweren und oft zu tragischen Folgen führen.


Der Begriff „Niemandsland“ erhält durch Moutafis' Linse eine erschreckend neue Bedeutung. Wir erleben Migrant*innen, die in einem tödlichen Kreislauf zwischen Nordmazedonien und Griechenland gefangen sind – eingeschlossen in einem endlosen Wechselspiel von Grenzübertritt und erzwungener Rückkehr. Dieses „Ping-Pong-Spiel“ mit Menschenleben enthüllt die Kaltherzigkeit der Grenzpolitik und die Verzweiflung der Schutzsuchenden.


Am beunruhigendsten sind vielleicht die stillen Zeugnisse, die zurückbleiben: Haufen von weggeworfener Kleidung in den Wäldern, die auf die Massen von Menschen hinweisen, die diese gefährliche Reise gewagt haben. Das Meer erscheint paradoxerweise manchmal einladender als die überfüllten, sinkenden Boote mit schreienden, verängstigten Passagieren.


Moutafis hinterfragt die Vorstellung, dass das Erreichen europäischen Bodens gleichbedeutend mit Erlösung sei. Stattdessen werden wir Zeug*innen des anhaltenden Leids: Trauer um verlorene Angehörige, traumatische Erlebnisse der Flucht und die bittere Erkenntnis, dass auf der anderen Seite oft Diskriminierung und Angst warten.


Besonders ergreifend ist die Auseinandersetzung mit dem Tod in diesem Dokumentarfilm. Moutafis erinnert uns daran, dass hinter jeder Statistik ein Mensch mit einer Geschichte, Träumen und geliebten Menschen steht. Doch im Tod werden sie zu „einem Grab, einer Nummer - als wären sie nie geboren“, ihre Individualität wird in der überwältigenden Flut der “Flüchtlingskrise” ausgelöscht.


„The other half“ ist kein leichter Film. Die fragmentierten, hektischen Szenen und die schmerzhaften Schreie sorgen für ein beunruhigendes Seherlebnis. Doch diese Herangehensweise fängt eine Wahrheit ein, die eine einzelne, kohärente Erzählung nicht vermitteln könnte. Indem Moutafis unfassbare und voneinander unabhängige Geschichten zeigt, vermeidet er die Verklärung oder Vereinfachung von Erfahrungen von Migrant*innen und bietet stattdessen eine komplexe, nuancierte Darstellung von Menschen, die zwischen Hoffnung und Verzweiflung gefangen sind.


Der Film „Die andere Hälfte“ konfrontiert die Zuschauenden mit erschütternden, brutalen Wahrheiten über die menschlichen Kosten der Grenzpolitik und die oft übersehenen Realitäten der Flucht.. Moutafis' Werk ist eine eindringliche Erinnerung daran, dass die gängigen Narrative der Medien unvollständig sind und einer Agenda folgen: Sie präsentieren Zahlen, Abstraktionen und Verallgemeinerungen, um uns von den grausamen Realitäten an den Grenzen eines angeblich wertegeleiteten Europas abzulenken.

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