In Zeiten zunehmender Kriminalisierung und schwindender Finanzierungsquellen ist die finanzielle Belastung für NGOs immens. Immer mehr NGOs rufen dringend zu Spenden auf, um ihre Schließung zu verhindern. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der griechischen Anti-Geldwäsche-Agentur, der darauf abzielt, gemeinnützige Organisationen als kriminelle Organisationen abzustempeln, trägt nur zu der zunehmend prekären Situation bei.
Die finanzielle Realität von NGOs inmitten von Kriminalisierung und Einschüchterung
Seit einigen Wochen kursieren in den griechischen Medien Schlagzeilenwie "Wie NGO-Manager Gelder abzweigen" und "NGO-Akte: Die Geldwäsche-Behörde öffnet den Abszess". Hinter diesen reißerischen Artikeln verbirgt sich ein von der griechischen Anti-Geldwäsche-Behörde veröffentlichter Bericht, in dem die angebliche Verwicklung von NGOs in Geldwäscheaktivitäten untersucht wird. "100 Nichtregierungsorganisationen, darunter einige, die besonders aktiv bei der Unterstützung von Migranten sind, die in Griechenland Asyl suchen, sind angeblich von der unabhängigen Behörde unter die Lupe genommen worden". Die Behörde gibt an, in den letzten zwei Jahren mehr als 100 NGOs geprüft zu haben, mindestens 40 darunter sollen deutliche Anzeichen von Betrug und Korruption aufwiesen. Die Ergebnisse wurden angeblich an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.
Der 16-seitige Bericht mit dem Titel "Die missbräuchliche Ausbeutung gemeinnütziger Organisationen" stellt unter anderem "Methoden zur Wäsche der aus den illegalen Aktivitäten stammenden Gelder" dar. Dazu zählen der Erwerb von Immobilien sowie die Deckung von Lebenshaltungskosten durch Gelder der NGO. Die "illegale Tätigkeit", aus der die Gelder stammen, wird jedoch nicht spezifiziert.
Seit seiner Veröffentlichung im Mai 2023 hat der Bericht nur wenig Aufsehen erregt. Wahrscheinlich nicht zuletzt, weil er einige Unklarheiten birgt. Abgesehen von fehlenden Details zu den "Verbrechen", die NGOs angeblich begangen haben sollen, um an Gelder zu gelangen, gibt es keinen Hinweis darauf, ob die genannten Organisationen offiziell darüber informiert wurden, dass gegen sie ermittelt wird, oder wie die NGOs herausfinden können, ob dies der Fall ist.
Wie ernst es die Regierung mit diesem Bericht meint und welche Konsequenzen er haben könnte, bleibt unklar. Es ist jedoch stark zu vermuten, dass sich diese Untersuchungen in eine lange Reihe von Maßnahmen einreiht, mit denen systematisch gegen NGOs vorgegangen wird, die mit Menschen auf der Flucht arbeiten.
Erst Ende Mai, etwa zu dem Zeitpunkt, als der Bericht veröffentlicht wurde, wurde das Vermögen des Leiters des griechischen Helsinki Monitor eingefroren. Gegen den Menschenrechtsverteidiger und Mitglied des OMCT-Vorstands wird seit November 2022 strafrechtlich ermittelt. Ihm wird vorgeworfen, ”eine kriminelle Organisation gegründet zu haben, mit dem Ziel, die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen auf griechischem Gebiet zu erleichtern.”
Zunehmende Einschüchterung von NGOs
In den letzten Jahren wurden Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtsverteidiger zunehmend ins Visier genommen, eingeschüchtert und durch Überwachung, gerichtliche Schikanen, Verleumdungskampagnen und öffentliche Diffamierung kriminalisiert. Wie die Beobachtungsstelle für den Schutz von Menschenrechtsverteidigern und die Federation International des Droits de L’Homme (FIDH) dokumentieren, "lassen die griechischen Ermittlungsbehörden [oft angebliche strafrechtliche Ermittlungen], die gegen Menschenrechtsverteidiger von Migranten eingeleitet wurden, an die Medien durchsickern, wodurch ein Klima der Angst und Abschreckung entsteht.” Oft würden die Menschenrechtsverteidiger weder offiziell informiert noch zu einer Zeugenaussage vorgeladen.
Die finanziellen Ermittlungen gegen NGOs sind nur ein weiteres Element in dem größeren Vorhaben, die Arbeit von NGOs zu untergraben. Der Vorwurf, dass Organisationen aus ihrer Arbeit mit Menschen auf der Flucht Profit schlagen wollen, passt schwer auf die prekäre Realität ihrer finanziellen Situation.
Die Realität der finanziellen Situation von NGOs
In den letzten zwei Jahren sind "dringende Spendenaufrufe" und Appelle / Nachrichten / Bitten wie "Rettet uns vor der Schließung" immer häufiger geworden. Organisationen, insbesondere auf dem griechischen Festland, stehen unter enormem finanziellen Druck, und viele sind ernsthaft von der Schließung bedroht.
In der Tat sind neue Finanzierungsmöglichkeiten rar geworden. Meist finanzieren sich NGOs über private Spendengeldern, Förderungen von Stiftungen oder Unternehmen und gelegentlich von Partnerorganisationen vor Ort. Selten stammen ihre Einkünfte aus EU- oder staatlichen Mitteln. Durch die Abhängigkeit von Spenden oder Förderungen, die neben der tagtäglichen Arbeit einen regelmäßigen hohen Arbeitsaufwand bedeuten, wird eine Situation geschaffen, die langfristige finanzielle und damit auch existenzielle Planung erschwert beziehungsweise fast unmöglich macht. Wie von der EU-Kommission festgelegt, werden Mittel für Asyl und Migration über nationale Regierungen weitergeleitet. Doch wie der Civic Space Report 2023 bestätigt, passiert dies in Griechenland nur schleppend.
Die fehlende finanzielle Unterstützung seitens der Regierung ist kaum überraschend. Ein Gesetz aus dem Jahr 2020, das NGOs dazu verpflichtet, sich beim Ministerium für Asyl und Migration registrieren zu lassen, um ihre Tätigkeit fortzusetzen, stellt für diese eine erhebliche Hürde und finanzielle Belastung dar. Der extrem langwierige und ressourcenintensive Prozess kann realistischerweise nur von großen internationalen Organisationen wie dem Roten Kreuz durchgeführt werden. Er beinhaltet die Vorlage einer ISO-Zertifizierung sowie offiziell geprüfter Jahresabschlüsse, welche eine finanzielle Investition von mehreren Tausend Euro verlangt. Selbst Organisationen, die finanziell in der Lage sind (oder das finanzielle Risiko eingehen), alle erforderlichen Unterlagen zu beschaffen, haben Schwierigkeiten sich erfolgreich zu registrieren. Mit wenig Hoffnung auf Erfolg und zunehmender Überwachung fehlt es an Interesse, die erheblichen finanziellen Investitionen einzugehen. Doch damit schrumpfen auch die Möglichkeiten für Förderung.
"Wir konkurrieren alle um die gleichen Zuschüsse"
Offene Aufrufe zur Einreichung von Projekten waren lange Zeit die Lebensader der Hilfsorganisationen. Stiftungen wie Safe Passage oder Choose Love leisteten beispielsweise lange wichtige Beiträge und schützen damit die Existenz von NGOs auf dem griechischen Festland und in der Ägäis. Heutzutage finden sich auf den Websites der Stiftungen Hinweise wie "Bewerbungen bis auf Weiteres nicht möglich" oder "Offene Ausschreibungen werden vorzeitig geschlossen".
Das hat viele Gründe. Mit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan, dem Beginn des Krieges in der Ukraine und dem jüngsten Erdbeben in der Türkei und Syrien sind andere Krisen in den Mittelpunkt gerückt, und viele Mittel wurden dorthin umgeleitet. Auch Stiftungen, die sich besonders auf die Arbeit an EU-Außengrenzen und im Balkan konzentrieren, haben immer weniger Mittel zur Verfügung.
Um die wenigen noch ausgeschriebenen Förderungen gibt es einen enormen Wettbewerb. "Wir bewerben uns alle um die dasselbe Geld”" ist ein immer wiederkehrender Satz und eine wohlbekannte Wahrheit unter den NGOs. Stiftungen sind infolgedessen mit der riesigen Menge an Anträgen überfordert so dass sie gezwungen sind offene Ausschreibungen vorzeitig zu schließen oder enge Kriterien festzulegen an wen sie Mittel zuweisen können.
Diejenigen, die das Glück haben, Zuschüsse zu erhalten, stehen vor einer neuen Herausforderung: Bei den Zuschüssen handelt es sich in der Regel um zweckgebundene oder so genannte "projektbezogene Mittel", d. h. die Gelder müssen zur Deckung der Kosten für ein bestimmtes Projekt, z. B. Trockennahrung für die Verteilung von NFI-Material (non-Food items), über einen bestimmten Zeitraum verwendet werden. Sogenannte “core costs”, zu denen Gehälter, Miete oder Strom gehören, können damit nicht abgedeckt werden.
Da es kaum eine andere Möglichkeit gibt, sind die NGOs mehr und mehr auf direkte Spenden und Crowdfunding angewiesen - daher die häufigen "dringenden Aufrufe zur Finanzierung". Seit der COVID-19-Panedmie ist die Kaufkraft jedoch deutlich gesunken, und die Bereitschaft der Unterstützer, regelmäßig zu spenden, sinkt, zumal es sich häufig um ehemalige Freiwillige, Studenten oder Berufsanfänger handelt, die nur über begrenzte eigene Mittel verfügen.
Im ständigen Krisenmodus
Der Mangel an verfügbaren Finanzmitteln hat erhebliche Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit, die Planung und die Wirkung von NGOs. Er hält sie in einem ständigen Krisenmodus mit der ständigen Unsicherheit, wie lange Projekte noch aufrechterhalten werden können. Dies behindert die eigentlichen Bestrebungen von NGOs in jüngster Zeit. Nach mehrjährigem Bestehen sind sich diese der Notwendigkeit der Beständigkeit ihrer Projekte bewusst geworden, sowohl für die Menschen, für die sie konzipiert sind, als auch für die Freiwilligen, Koordinatoren und Vorstandsmitglieder. Vieln haben sich daraufhin bemüht ihre Aktivitäten und zu formalisieren, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und Projekte langfristiger zu planen, doch mittlerweile können viele die angestiegenen core-costs nicht mehr tragen.
Die Folgen sind erheblich. Wenn Projekte auf der Grundlage der Ungewissheit über die Zukunft durchgeführt werden, müssen die NGOs harte Entscheidungen darüber treffen, wo sie Kosten einsparen, welche Gruppen sie in bestimmte Programme einbeziehen, und ob sie die Dienstleistung im nächsten Monat weiterführen. Für Menschen, die auf die Unterstützung von NGOs angewiesen sind, um ihre Grundbedürfnisse wie Lebensmittel zu decken, bedeutet diese Ungewissheit eine immense psychische Belastung.
Neben den negativen Auswirkungen auf die Projekte beeinträchtigen die fehlenden Mittel und der beständige Krisenmodus auch die eigentliche Arbeit der Organisationen. Gehälter für Koordinatoren sind nach wie so niedrig, dass es inmitten der hohen Inflation fest unmöglich ist, über diese Anstellung den Lebensunterhalt zu bestreiten. Dies verstärkt prekäre Arbeitsbedingungen und behindert Rekrutierungsprozesse, wodurch der exklusive Zugang für bestimmte privilegierte (oft weiße) Gruppen noch weiter gefördert wird. Niedrige Gehälter, fehlende Büroräume und wenig soziale Vorteile behindern außerdem die Bemühungen für mehr Lokalisierung, da NGOs unter diesen Bedingungen kaum in der Lage sind, einheimisches Personal zu gewinnen. So werden administrative Aufgaben weiterhin von Freiwilligen und Gründungsmitgliedern aus der Ferne betrieben.
Die finanzielle Lage der NGOs auf dem griechischen Festland ist angesichts der zunehmenden Repressalien düster. Einschüchterung, öffentliche Diffamierung und Anschuldigungen wegen krimineller Aktivitäten wie Geldwäsche bringen NGOs in eine äußerst schwierige Lage, die den Zugang zu den ohnehin begrenzten Finanzmitteln immer schwieriger macht. Da die staatliche Unterstützung für Menschen auf der Flucht von Tag zu Tag abnimmt, würde die Schließung von NGOs erhebliche Lücken hinterlassen und dem Schutz der Menschenrechte weiter schaden.
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