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Deutschlands “Migrationsgipfel”: Was wird heute entschieden?

Heute findet im Bundeskanzleramt in Berlin der deutsche Migrationsgipfel statt. Statt auf Integration wird zunehmend auf Abschottung gesetzt. Gemeinsam mit anderen Organisationen protestieren wir gegen diese Pläne.



Deutschland spielt insbesondere seit 2015 eine wichtige Rolle in der Migrationspolitik der EU, als die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer sogenannten „Wir Schaffen Das“-Politik zwischen 2015 und 2016 insgesamt 1 Million Menschen Asylanträge ermöglichte. Dieser prägnante Satz und die damit einhergehende politische Entscheidung führte zu vielen hitzigen Debatten und heftigen Reaktionen, zumal die rechtsextreme Partei Alternative für Deutschland (AfD) seit ihrer Gründung im Jahr 2013 kontinuierlich an Wähler:innen gewonnen hatte. Seit die AfD in den letzten sechs Jahren einen Sitz im Bundestag errungen und gehalten hat, wird deutlich, dass Mitte-Rechts-Parteien wie die Christlich Demokratische Union (CDU/CSU) und die Freie Demokratische Partei (FDP) ihr Rennen um die Wählerschaft beschleunigt haben. Besonders seit die FDP im Jahr 2021 zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) die Regierungskoalition bildet, scheint der Druck zugenommen zu haben, moderat-rechte Stimmen in Deutschland auf ihre Seite zu holen.


Länder verlangen nehr Unterstützung, Bund weist sie zurück


Nun werden sich heute die 16 Bundesländer auf dem „Migrationsgipfel“ mit dem Thema erneut befassen. Die Länder und Kommunen haben wiederholt viele Probleme mit den sogenannten „Integrationsprogrammen“ geäußert, da ein Mangel an Lehrer:innen, Sozialarbeiter:innen und anderen öffentlichen Dienstleister:innen bundesweit vermehrt zu erheblichen Komplikationen geführt hat. Die dringenden Forderungen der Länder nach intensiverem Einsatz von Seiten des Bundes in den Monaten vor dem Gipfel von der Bundesregierung zurückgewiesen wurden, die wiederum darauf besteht, dass sie bereits genug Unterstützung anbietet. Darüber hinaus werden die Vertreter:innen der Kommunen und Länder vom Bund eine Aufstockung der Finanzmittel fordern, die Finanzminister Christian Lindner (FDP) nicht zu leisten gedenkt. Stattdessen wollen seine Partei sowie einige hochrangige SPD-Politiker:innen die aktuelle Liste der „sicheren Herkunftsländer“ überarbeiten. Die aktuelle Liste umfasst alle EU-Mitgliedsstaaten sowie Ghana, Senegal, Serbien, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina, Albanien, Kosovo und Montenegro. Die Aufnahme der sogenannten „Maghreb-Staaten“ Marokko, Algerien und Tunesien wurde seit 2017 neben Georgien immer wieder ins Gespräch gebracht und wieder verworfen.


Beim heutigen Gipfel wird dieses Addendum erneut diskutiert, und die Stimmen, die die Bundesregierung zur Aufnahme von Marokko, Algerien, Tunesien und Georgien drängen, scheinen lauter denn je. Inzwischen befinden sich darunter auch der Ministerpräsident von Brandenburg sowie Hamburgs Bürgermeister, die beide von der SPD gestellt werden. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke verdeutlichte seine Einstellung umso mehr, als er Ende April gegenüber der FAZ äußerte: „Irgendwann müssen Debatten auch beendet werden“. Die Listen der „sicheren Herkunftsländer“ sollen die Abschiebung von Migrant:innen und Geflüchteten erleichtern, da erfolgreiche Asylanträge für Menschen, die aus diesen Ländern in Deutschland einreisen, faktisch unmöglich sind. Dies wird verheerende Auswirkungen für Personen haben, die vor Strafverfolgung oder anderen Gefahren aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität fliehen oder weil sie aufgrund ihrer politischen Aktivitäten als Dissident:innen gelten. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte zwar, dass die Bundesregierung die Asylvorgaben zugunsten von queeren Flüchtlingen im Jahr 2022 geändert habe, doch stellt die Einstufung eines Landes als „sicher“ nach wie vor ein grundlegendes Hindernis für das Recht auf Asyl eines/r jeden/r Antragsteller:in dar.


Sorge vor mehr Externalisierungs-Politik nach heutigem Gipfel


Im Jahr 2022 ist die Zahl der Menschen, die in Deutschland Schutz suchten, im Vergleich zu 2021 gestiegen. Dies war eine Folge des erweiterten Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine, welcher zur Ankunft von 1,1 Millionen Geflüchteten führte, von denen schätzungsweise eine Million im Land verblieben sind. Diese Entwicklung mag zwar die staatlichen Infrastrukturen erschöpft haben, die aufgrund der Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor und des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie bereits an der Kapazitätsgrenze angelangt waren, doch die scheinbar „einfache“ Lösung einer Ausweitung der Abschiebungspolitik ist nicht praktikabel. Nicht nur stellt sie eine grundsätzliche Gefährdung der universalistischen Werte der Menschenrechte dar; diese Entscheidung sendet auch eine gefährliche Botschaft an die EU und die anderen Union-Mitgliedstaaten. Aufgrund der alarmierenden Wendung der EU-Politik hin zu einer zunehmenden Versicherheitlichung der „Festung Europa“, ist es umso wichtiger, sich als einflussreicher Mitgliedstaat von diesen Maßnahmen entschieden abzuwenden. Die Externalisierung der Migrationspolitik wird angesichts des deutschen Migrationsgipfels einmal mehr deutlich. So verweist die Berliner Zeitung auf die immer wichtigere Rolle Tunesiens bei der Verhinderung des Zustroms von Geflüchteten und Migrant:innen nach Europa. Nach Angaben der tunesischen Küstenwache werden in den Küstenprovinzen Sfax und Mahdia, die etwa 150 Kilometer südlich der italienischen Insel Lampedusa liegen, rund 14.000 Menschen zurückgehalten. Wohlgemerkt ist diese Zahl fünfmal so hoch wie im Jahr 2022.


Unsere Forderungen an Bundeskanzler Olaf Scholz


Bislang ist unklar, ob Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Migrationsgipfel teilnehmen wird. Grundsätzlich hat er in den Wochen vor der Konferenz von Äußerungen abgesehen, ebenso wie die Abgeordneten seiner Koalitionspartei Bündins 90/Die Grünen. Währenddessen fordern Aktivist:innen, Menschenrechtsorganisationen und NGOs, dass der Schwerpunkt auf der Verbesserung der inländischen Infrastrukturen liegen wird und dass die noch vorhandenen Kapazitäten so weit wie möglich genutzt werden, um Migrant:innen und Geflüchtete aufzunehmen und zu betreuen. Nach Angaben der Zeit liegt die Verfügbarkeit aller leerstehenden und ungenutzten Wohnungseinheiten bundesweit bei 64%. Darüber hinaus hat der WDR kürzlich eine interaktive Karte des größten und am dichtesten besiedelten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen veröffentlicht, die den Schluss zulässt, dass die meisten Kommunen noch über Kapazitäten für lokale Betreuungsinitiativen verfügen. Darüber hinaus fordern wir gemeinsam mit Leave no One behind, Wir packen´s an, ROSA-Rolling Safe Space und vielen mehr, dass die Aufnahme und Begleitung von Geflüchteten mit einem besonderen Fokus auf Frauen- und Gender-gerechten Maßnahmen erfolgen wird. Das vollständige Forderungspapier findet ihr hier.

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