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Alexia Hack

Polizeibrutalität in Griechenland

Polizeigewalt insbesondere gegen Minderheiten ist in Griechenland an der Tagesordnung. Der Tod eines 16-Jährigen Roma durch die Schüsse eines Polizisten machen dies einmal mehr deutlich. Ein Abriss.







Der Tod von Kostas Fragoulis


Kurz vor ein Uhr in der Nacht vom Montag, dem 5. Dezember, fuhr der 16-jährige Kostas Fragoulis, Vater eines neun Monate alten Babys, mit seinem Kleinlastwagen auf den Rastplatz einer Tankstelle in Thessalonikis Viertel Diavata. Der Junge, der ein Mitglied der Roma/Romnja-Gemeinde von Agia Sofia in Thessaloniki war, betankte sein Fahrzeug mit Benzin im Wert von 20 Euro und fuhr davon, ohne den Betrag zu zahlen. Er machte sich auf den Weg zurück in die Ortschaft Agia Sofia, die nur 500 Meter von der Tankstelle entfernt liegt, um seine Freunde zu treffen. Allerdings kam er nie bei seinen Freunden und seiner Familie an. Vier Polizeibeamte, die ebenfalls auf dem Rastplatz gehalten hatten , wurden von einem Mitarbeiter über den Verstoß informiert und erhielten eine Beschreibung des Fahrzeugs, woraufhin eine Verfolgungsjagd begann, die mit dem tragischen Tod des Jugendlichen endete.


Während er an einer roten Ampel auf einer Hauptstraße anhielt, näherten sich die vier Beamten auf zwei Motorrädern und kamen kurz hinter dem Fenster des Beifahrersitzes zum Stehen. In diesem Moment beschleunigte der 16-Jährige abrupt und es kam zu einer etwa 400 Meter langen Verfolgung. Als Kostas bald darauf einen Streifen nahegelegener Bahngleise erreichte, schien er wiederholt die Kontrolle über das Fahrzeug zu verlieren und kam einige Sekunden lang zum Stehen, woraufhin die Polizei ihn aufforderte, auszusteigen. Nach der Aussage des Polizisten, der des Mordes an dem Jungen beschuldigt wird, schien Kostas auf die Motorräder seiner Kollegen zufahren zu wollen, als der Beamte zweimal seine Waffe abfeuerte, wobei eine Kugel den Eingang eines nahe gelegenen Hotels traf und der zweite Schuss, der auf den Kleinlastwagen gerichtet war, den Jugendlichen tödlich verletzte. Zuvor hatte jedoch einer der beteiligten Beamten über den Polizeifunk geäußert, der letzte Versuch des Fahrers die Geschwindigkeit erneut zu erhöhen, sei darauf zurückzuführen, dass er offensichtlich «die Kontrolle über das Fahrzeug verloren» habe, und nicht auf die Absicht, die Motorräder der Polizisten zu rammen, was Zweifel an der Selbstverteidigungsbehauptung des Beschuldigten aufkommen ließ.


Während die genauen Einzelheiten der Ereignisse, für die Öffentlichkeit wohl unklar bleiben werden, wurde der für die unrechtmäßige Tötung verantwortliche Polizeibeamte am 19. Dezember entlassen. Und dasnur sechs Tage nachdem der 16-Jährige seiner tödlichen Wunde im Krankenhaus "Ippokratio" von Thessaloniki erlag, wo er eine Woche lang behandelt worden war. Tatsache ist, dass Kostas Fragoulis von den Strafverfolgungsbehörden getötet wurde, weil er Benzin im Wert von 20 Euro nicht bezahlt und versucht hatte, sich dem Polizeigewahrsam über weniger als einen halben Kilometer lang zu entziehen. Dieses erschütternde Ereignis löste Empörung aus und führte zu Protesten unter den Roma/Romnja-Gemeinschaften und ihren Unterstützer:innen in ganz Griechenland, während andere Roma/Romnja-Organisationen europaweit öffentlich ihre Solidarität bekundeten. Der engste Kreis um Kostas Fragoulis sowie die Leiter von «Ellan Passe», der Panhellenischen Organisation Griechischer Roma/Romnja, brachten jedoch vor allem ihre Trauer, ihren Schmerz und ihre Erschöpfung darüberzum Ausdruck, was als «ständiger Angriff auf eine gesamte Gemeinschaft» bezeichnet wurde. Die ungerechte Ermordung von Kosta geschah nur vierzehn Monate nach dem Mord an dem 20-jährigen Roma Nikos Sambanis in Attikas Bezirk Perama, der von der Waffe eines Polizeibeamten mehr als 30 Mal getroffen wurde. Dies geschah ebenfalls während einer Verfolgungsjagd, nachdem er angeblich ein Auto gestohlen hatte.


Polizeirepressionen in Griechenland Erscheinen Systematisch


Die Umstände, die zur Tötung des jungen Mannes im Jahr 2021 führten, hatten Änderungen in der Führung der Strafverfolgungsbehörden sowie vier neue Verordnungen zur Folge, die eine Umschulung der Polizeibeamt:innen, die Digitalisierung der Einsatzzentralen und die Einführung von «Bodycams» für Beamt:innen an vorderster Front vorsehen, sowie eine Aktualisierung des «Handbuchs» der Polizei, das den Einsatz von Schusswaffen bei Verfolgungsjagden einschränkt. Es ist jedoch anzumerken, dass Reporter:innen der «Κ», eine der größten griechischen Zeitungen, eine Reihe von Polizeibeamt:innen über dieses «Handbuch» befragten welche allesamt bestritten von seiner Existenz zu wissen.


Die Frage bleibt also offen: Wenn die technischen und technologischen Änderungen, die durch den Tod von Sambani ausgelöst wurden, nicht zu einer Lösung von Griechenlands Polizeibrutalität-Problems geführt hat, was nicht nur durch die jüngste Ermordung des 16-jährigen Fragoulis, sondern auch durch mehrere gemeldete Vorfälle übermäßiger Gewaltanwendung sowie die mutmaßliche Vergewaltigung einer 19-jährigen Frau durch zwei männliche Beamte in einer Polizeistation im vergangenen Oktober bewiesen wurde, ist dies dann nicht ein klares Zeichen für die dringende Notwendigkeit einer größeren systematischen Veränderung? Denn die Antwort scheint klar zu sein: Griechenlands vulnerablen Bevölkerungsgruppen leiden unter den Strafverfolgungsbehörden des Landes, während der Premierminister, gelegentlich mit dem einstimmigen Segen aller Parlamentsmitglieder, ungehindert Geld und Personal in dieselben Behörden pumpt, ohne sich nachhaltig und effektiv um die Sorgen der Betroffenen zu kümmern. Interessanterweise hält sich Mitsotakis stets zurück, wenn es um ausufernde Polizeigewalt geht. Schließlich ist die Aufrüstung der Exekutive eines seiner wichtigsten innenpolitischen Projekte. Behelmte Polizisten zu zweit auf Motorrädern sind ein Sinnbild für die Omnipräsenz der griechischen Ordnungshüter und der Law&Order Politik der Nea Dimokratia geworden. Auch zu den Protesten und Ausschreitungen der Roma-Gemeinschaft schwieg er zunächst und bewarb lieber den von der Regierung an die Polizeibeamten ausgezahlten Weihnachtsbonus von 600€. Die Stimmen aus dem aufgeplusterte


Gewalt und Ethnizität in Griechenland


Während das Bewusstsein für ethnisch und rassistisch motivierte Gewalt, die von rechtsextremen Netzwerken bis hin zu Polizeibehörden reicht, und die häufige Verflechtung dieser beiden Gruppen, in den USA und den meisten europäischen Ländern spätestens seit der Ermordung von George Floyd im Jahr 2020 allmählich gestiegen ist, scheint es sich nur selten auf den Diskurs über Roma/Romnja auszudehnen, die historisch gesehen mit einem übermäßigen Maß an Diskriminierung, Segregation und Stigmatisierung konfrontiert sind und deren Forderungen und Anliegen zusätzlich auf jeder bedeutenden politischen Ebene unsichtbar geblieben sind. Es ist jedoch wichtig, ihre systematische und gewaltsame Verfolgung mit der rassistischen Politik und der exzessiven Versicherheitlichung im Namen von «Recht und Ordnung» in Verbindung zu bringen, die an Europas Grenzen, in den Straßen zahlloser europäischer Städte und Dörfer und Europas tödlichsten, diffusesten und ungreifbarsten Ort, der Ägäis, stattfindet.


Letztendlich werden die Morde an Menschen wie Fragoulis und Sambanis gerade wegen ihrer Ethnizität und der damit verbundenen Stereotypisierungen im Vergleich zu Brutalität an nicht-rassifizierten Mitgliedern der griechischen Gesellschaft weniger stark wahrgenommen und milder behandelt. Ihre Zugehörigkeit zu «anderen» Gemeinschaften ist genau das, was sie zu Zielscheiben macht. Dies wird darüber hinaus in den Augen derjenigen gerechtfertigt, die «Sicherheit» und «Schutz» fordern, ohne die Verletzlichkeit zahlreicher Menschen zu berücksichtigen, die dieselben Städte, Viertel und Straßen teilen, und ohne die Verletzlichkeit von Menschen zu berücksichtigen, die einst ebenfalls in der Lage waren, in ihren Gemeinschaften ein stabiles Leben zu führen, und gezwungen wurden, immense Risiken während ihrer Fluchtmigration einzugehen.


Tatsächlich bedurfte es erst der brutalen Ermordung des linken Aktivisten und Musikers Pavlos Fyssas, eines nicht-rassifizierten jungen Griechen, durch Mitglieder der Neonazi-Organisation «Goldene Morgenröte» im Jahr 2013, damit die in Griechenland vorherrschenden gesellschaftlichen und politischen Gruppen allmählich ihre Aufmerksamkeit auf die ebenso brutalen Verbrechen gegen Migrant:innen, Geflüchtete und Greek People of Color lenkten, die seit Jahren auf den Straßen von Athen und Thessaloniki von denselben Rechtsextremisten verübt wurden. Damals wie heute werden Proteste, die in Solidarität mit den Opfern schwerer politischer Ungerechtigkeiten organisiert werden, wie z. B. Studentendemonstrationen an Universitäten, Demonstrationen von Feminist:innen in Stadtzentren oder die jüngsten Aufstände in Roma/Romnja-Randbezirken als «Krawalle» bezeichnet, von der Polizei mit Gewalt bekämpft und von Medien und Politikern missbilligt. Javed Aslam, ein führendes Mitglied der pakistanischen Gemeinschaft in Griechenland, die in den letzten fünfzehn Jahren unverhältnismäßig stark von rechter Gewalt und polizeilicher Unrechtmäßigkeit betroffen war, sprach auf der antifaschistischen Versammlung am ersten Tag der Wiederaufnahme der Gerichtsverhandlungen gegen die «Goldene Morgenröte» im Namen der Angehörigen seiner Gemeinschaft: «Wir sind hier, weil wir Gerechtigkeit wollen. Und was wollen sie? Sie wollen Blut. Sie wollen uns mit Knüppeln jagen, und sie wollen Blut sehen, unser Blut».


Auch wenn die von Polizei und Militär auf dem griechischen Festland, den Inseln und auf hoher See ausgeübte Gewalt auf den ersten Blick nicht unbedingt in dieselbe Kategorie gehört wie die abtrünnigen und wahllosen Angriffe paramilitärischer Gruppen an diesen Orten, scheint das Ergebnis oft dasselbe zu sein, vor allem, wenn man die aktuellsten alarmierenden Berichte über rechtsextreme organisierte kriminelle Netzwerke und private Militärfirmen (PMCs) betrachtet, die in den griechischen Grenzregionen Hand in Hand mit «offiziellen» Behörden arbeiten zu scheinen. Und obwohl die Roma/Romnja seit jeher Teil der griechischen und europäischen Gesellschaften sind und daher nicht als «Neuankömmlinge» betrachtet werden, ist die Sicherheit aller vulnerablen Gruppen bedroht, solange die kürzlich auferstandenen Regime, die Versicherheitlichung priorisieren, Personen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, Religion, Ethnizität und ihres Geschlechts ins Visier nehmen.

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