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#FreeHomayoun: Die Kriminalisierung von Geflüchteten und humanitären Rettungshelfer*innen durch „anti-Schmuggel“-Richtlinien in der EU

Die Kriminalisierung von people on the move in Griechenland ist mittlerweile gängige Praxis. Hinter den Zahlen an Inhaftierten stehen jedoch stets Menschen und ihre Geschichten. Das hier ist die Geschichte von Homayoun Sabetara...



Homayoun Sabetara ist derzeit im Trikala-Gefängnis in Griechenland inhaftiert und wartet auf seinen Berufungsprozess. Ihm wird vorgeworfen, sieben Personen ins Land geschmuggelt und selbst illegal die Grenze überquert zu haben. Homayoun befand sich bereits seit zwei Jahren in Untersuchungshaft, als sein Gerichtsprozess im September 2023 begann. Gemeinsam mit Seebrücke Schweiz hat Mahtab Sabetara die Kampagne #FreeHomayoun ins Leben gerufen. Am 22. jeden Monats können sich Menschen nicht nur mit ihm, sondern auch mit allen anderen Personen solidarisieren, die von der Justiz in EU-Mitgliedsstaaten entweder für ihre Versuche, in Sicherheit zu gelangen oder Menschen auf der Flucht zu helfen, kriminalisiert wurden. Da der Prozess gegen die Rettungshelfer*innen von Lesbos, darunter Nassos Karakitsos, Anfang Januar begonnen hat, ist es besonders wichtig, sich mit dem Thema der Kriminalisierung zu befassen.


Von der Flucht zur Festnahme


Als Homayouns Tochter ein Studierendenvisum für ein Studium in Berlin erhielt, machte er es sich zum Ziel, ihnen nach Deutschland zu folgen. Er hatte viele Gründe, seine Heimat im Iran zu verlassen, unter anderem Probleme mit seiner medizinischen Versorgung. Vor allem aber lebte er in Angst. Von Seiten des Regimes hatte er seit einiger Zeit zunehmend Drohungen erhalten, was die Familie Sabetara sogar dazu animiert hatte, in ein neues Haus zu ziehen. Bald begannen sie außerdem, Möglichkeiten zu suchen, nach Europa umzusiedeln. Homayoun stellte allerdings fest, dass ihm der legale Weg der Migration aus dem Iran versperrt bleiben würde. Schließlich beschloss er im Jahr 2021, im Alter von 57 Jahren, sich trotzdem seiner Tochter in Europa anzuschließen und startete mit seiner Reise in Richtung Türkei.


Am Grenzübergang nach Griechenland verlangte die Person, die Homayoun und eine Gruppe anderer Geflüchteter transportieren sollte, plötzlich einen höheren Preis als den zuvor vereinbarten. Da Homayoun nicht genügend Geld bei sich hatte, befahl ihm der Schleuser, die Kontrolle über das Fahrzeug zu übernehmen und es selbst nach Griechenland zu fahren. Homayouns Bitten, in die Türkei zurückgebracht zu werden, wurden mit der Drohung beantwortet, ihn allein in den Wäldern zurückzulassen und so dem sicheren Tod auszuliefern. Aus Angst um sein Leben befolgte Homayoun also den Befehl und setzte sich hinter das Steuer. In dem Auto, das er nun fuhr, befanden sich sieben Personen, von denen sich drei im Kofferraum versteckten. Als sie in die Nähe der Stadt Thessaloniki kamen, nahm ein Polizeiauto die Verfolgung auf. Alle Passagiere konnten aussteigen, aber Homayoun wurde verhaftet.


Das Leben in Haft und der Kampf gegen ein rechtswidriges System


Anschließend wurde Homayoun in das Korydallos-Gefängnis in Athen gebracht, wo er von August 2021 bis Juni 2023 blieb. Während dieser zwei Jahre war er mit menschenunwürdigen und gesundheitsschädigenden Haftbedingungen konfrontiert, die ihm lebenslange gesundheitliche Probleme bescherten. Da er mit teilweise bis zu zwanzig Personen in einem Kellerraum untergebracht war, entwickelte Homayoun Atemprobleme und einen chronischen Husten. Doch er erhielt nicht einmal grundlegende Medikamente wie Asthmaspray. Als er im Sommer 2023 in das Gefängnis in Trikala verlegt wurde, verbesserte sich die Situation nicht. Trotz einer Krebsbehandlung vor sechs Jahren, erhält er weder die Medikamente, die er regelmäßig einnehmen sollte, noch kann er die notwendigen Kontrolluntersuchungen wahrnehmen. Während der katastrophalen Überschwemmungen in Zentralgriechenland im September 2023 wurde auch das Gefängnis überflutet und die Gefangenen hatten nur eine Stunde am Tag Zugang zu Trinkwasser.

Währenddessen drohte Homayoun eine Gefängnisstrafe, die mehr als hundert Jahre betragen könnte. Dies wurde bei seiner ersten Gerichtsanhörung im September 2023 bekannt gegeben, über ein Jahr nach seiner Verhaftung. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Haftstrafe von zehn Jahren für jede Person, die im Auto saß, das er gezwungen worden war zu fahren, sowie fünfzehn Jahre für jede Person, die sich im Kofferraum befunden hatte. Dank der Bemühungen von Homayouns Anwalt und der Zeugenaussagen seiner Kinder wird seine Strafe jedoch auf 25 Jahre und später auf 18 Jahre reduziert.


Das Berufungsverfahren von Homayoun soll im April 2024 beginnen. Bis dahin wollte seine Tochter so viel Aufmerksamkeit wie möglich auf seinen Fall lenken und organisieren für den 22. eines jeden Monats Aktionstage. An diesen Tagen wird Homayouns Netzwerk nicht nur mit ihm solidarisch sein, sondern mit jeder Person, die im Zusammenhang mit unerlaubten Grenzübergängen in einem EU-Land angeklagt ist.


Wie EU-Richtlinien zur Bekämpfung des „Schmuggels“ Geflüchtete Kriminalisieren

Homayoun Sabetara ist einer von vielen Menschen, die sich in ganz Europa in Haft befinden, weil sie im Zusammenhang mit “Schmuggel” von Staatsanwält*innen angeklagt wurden. In diesem Monat wird der Prozess gegen die humanitären Rettungshelfer*innen von Lesbos, darunter Sean Binder und Nassos Karakitsos, wieder aufgenommen. Die nächste Gerichtsverhandlung wurde für diesen Freitag, den 29. Januar, angesetzt. Die ehemaligen ERCI-Mitarbeiter*innen werden zu Unrecht der Spionage und anderer Straftaten beschuldigt und ihr Prozess wurde in den letzten fünf Jahren mehrfach verschoben.


Nach Angaben von Borderline Europe, einer NGO, die sich für das Recht auf Bewegungsfreiheit einsetzt und die von Kriminalisierung betroffenen Menschen durch Rechtsbeistand und Solidaritätskampagnen unterstützt, sind derzeit Tausende in Griechenland wegen “Schmuggels” inhaftiert, obwohl sie selbst Geflüchtete sind. Ihre Geschichten gleichen derer Homayouns. Abgesehen von den unmenschlichen Haftbedingungen und dem Mangel an medizinischer Versorgung und grundlegender Infrastruktur sind sie auch mit vielen Problemen hinsichtlich der Unterstützung in ihren Gerichtsverfahren konfrontiert. So ist der Zugang zu Dolmetscher*innen schwierig. Außerdem verlassen sich die Gerichte im Wesentlichen auf die Zeugenaussagen der Polizeibeamt*innen, die die Angeklagten festgenommen haben. Die Bearbeitung ihrer Verteidigung findet zudem meistens durch Pflichtverteidiger*innen statt, denen das spezifische Wissen fehlt, um sie bestmöglich zu vertreten. Darüber hinaus sind in den meisten Fällen die Angeklagten und ihre Verteidiger*innen nicht in der Lage, Zeug*innen ausfindig zu machen, die ihre Behauptungen bestätigen würden, da diese Griechenland bereit verlassen haben oder befürchten, ihr eigenes Asylverfahren zu gefährden, wenn sie mit einer Straftat in Verbindung gebracht werden. Zeug*innen aus dem Familien- oder Freundeskreis, die über den Charakter der Angeklagten aussagen könnten, werden oft nicht vor Gericht gehört oder haben selbst Schwierigkeiten, in die EU einzureisen.


Aus dem umfangreichen Forschungsbericht von Borderline Europe geht hervor, dass die durchschnittliche Freiheitsstrafe in diesen Fällen 46 Jahre beträgt, mit einer durchschnittlichen Geldstrafe von 332.000 Euro. Diese Urteile beziehen sich häufig nicht nur auf den Vorwurf des “Schmuggels”, sondern auch auf die eigene unerlaubte Einreise in das jeweilige EU-Land. Zudem verbüßen 52 % aller Verurteilten Strafen zwischen 15 Jahren und lebenslänglich, während Freisprüche äußerst selten sind. Schließlich sind die meisten Angeklagten nicht in der Lage, die Verletzung ihrer Rechte anzufechten, da sie keinen Zugang zu den Berufungsverfahren vor den internationalen Gerichten haben. Die Quellen beschreiben daher ein allgemeines Klima der Immunität und ein chronisches Fortbestehen der Probleme, mit denen die betroffenen Personen konfrontiert sind.


All dies sind Symptome der EU-Richtlinie zur Schleusung, die 2002 unter dem Namen "Facilitators Package" verabschiedet wurde. Während die EU im Jahr 2015 beschloss, die Kriminalisierung von Grenzübertritten zu verschärfen, um angeblich die Sicherheit von Geflüchteten zu schützen, gefährden die erweiterten Befugnisse ihrer Grenzschutzagentur FRONTEX effektiv Menschen, die in der EU Asyl suchen, sowie humanitäre Rettungs- und Hilfskräfte. Darüber hinaus erlaubt die EU-Kommission den Mitgliedstaaten selbst zu bestimmen, wie sie "Schmuggel" definieren und welche Faktoren sie dabei berücksichtigen wollen. Daher konnte die griechische Regierung die von allen EU-Mitgliedstaaten strengsten Gesetze entwerfen. So reicht zum Beispiel die Kontrolle eines Fahrzeugs oder Motorbootes aus, in dem sich Geflüchtete befinden, um eine jahrelange Haftstrafe zu verhängen. Das einzige Kriterium, das nach griechischem Recht für den Vorwurf der Schleusung ausreicht, ist der tatsächliche oder mutmaßliche Transport von Personen ohne offizielle Papiere ins Land. So wird Homayoun, der lediglich das Steuer eines Autos lenkte, nachdem er mit dem Tod bedroht wurde, nun zu Unrecht verurteilt.


Dank der immensen Anstrengungen vieler Organisationen, die sich gegen diese Politik wehren, kann das Bewusstsein für das Problem der Kriminalisierung geschärft werden. In Malta unterstützte die Kampagne "ElHiblu3" drei junge Männer und verhinderte erfolgreich ihre Abschiebung nach Libyen. In Sizilien setzt sich "From Sea to Prison" gegen die systematische Kriminalisierung von Bootsfahrern in Italien ein, während sich "Legal Centre Lesvos" und "Borderline Europe" für Angeklagte in Griechenland einsetzen.


Schließlich hat Homayouns Tochter ein großes Netzwerk aufgebaut, zu dem es hier weitere Informationen gibt.


Ihr könnt Homayouns Berufungsverfahren mit einer Spende unterstützen oder ihm einen Brief schreiben.


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